Dienstag, 29. November 2011

Der Christkindlmarktwahnsinn, oder: Wurzelseelenkauf für Fortgeschrittene

Voll, klebrig, kalt, laut und teuer. Was nach einer Episode aus Dantes Inferno klingt, ist in Wahrheit ein alljährlicher Kommerzerfolg der österreichischen Bundeshauptstadt: der Christkindlmarkt. Jährlich strömen Tausendschaften von Touristen nach Wien, um mit großen glänzenden Augen die mit Elektroglitzer festlich bekitschte Stadt zu bewundern, allerlei überteuerten Ramsch zu erstehen und sich die Birne mit erhitzten Alkoholika wegzulöten.

Christkindlmärkte haben ja mit dem Christentum in etwa so viel zu tun, wie Cordon Bleu mit koscherem Essen. Als Jesus vor 2000 Jahren durch Palästina marschierte, hatte er sicherlich anderes im Sinn, als die Verehrung seines gemutmaßten Geburtstages mittels Schneekugeln, Lametta und Ingwer-Mandarinen-Punsch - der trotzdem sehr empfehlenswert ist. Aber sei's drum, Tote können sich ja nicht wehren, auch Auferstandene nicht. Und weil die JC-Masseverwaltung Katholische Kirche und andere die davon profitieren es für eine gute Idee halten, wird jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit das Wort „besinnlich“ neu definiert.

Massen von Italienern, Slowaken, Tschechen, Ungarn und sogar Deutschen schieben sich dann über die Kitschzentrale am Rathausplatz, um Gallertkerzen in Bierglasform, bunt behaarte Schispringerhauben oder esoterische Räucherstäbchen zu kaufen. Vorbei an Wienern, die sich am überteuerten Glühwein mit Billigzutaten berauschen, vorbei am Christbaum aus dem Burgenland mit entsprechender Widmung des Landeshauptmannes und vorbei an plärrenden Kindern, die unbedingt bunte Zuckerwatte aus einem Kübel fressen möchten. An einem Stand werden Handpuppen in Stofftierform angeboten. Die Verkäuferinnen tragen Einmalhandschuhe aus Latex während sie ihre Hände in immer neue Plüschtierafter schieben. Der Brezelstand ist heuer wieder um 20 Cent teurer geworden, was aber außer mir keinem auffällt. Zwischen den Normalgroßen stolzieren einige zwergwüchsige Apenninenbewohner in überetikettierter Markenkleidung für Teilnehmer von Arktisexpiditionen umher. Ein paar Deutsche begeistern sich für Kerzen, in die Muscheln, Seesterne und Trockenblumen versenkt wurden.

Kurz: Es ist eine Freude den Christkindlmarkt am Rathausplatz zu besuchen, aber auch die gefühlten tausend anderen adventzeitlichen Barackensiedlungen haben ihren Reiz. Der mittlerweile überlaufene Exgeheimtipp am Spittelberg etwa ist traditionell der Ort wo Linksalternative nicht Weihnachten feiern, aber den Hype darum kommerziell ausnutzen. Dementsprechend bekommt man dort weniger Christliches zu kaufen, sondern eher ein Mixtum aus südamerikanischer, afrikanischer und australischer Eingeborenenkultur nebst allerlei Naturplunder. Beliebte „product samples“ alternativer Weihnachtsmärkte sind Duftkerzen von „Weihnachtstraum“ bis „Kamasutra“, Sand-hinter-Glas-Kipprahmenbilder und die allgegenwärtige Rose von Jericho.

Vergessen werden darf natürlich auch nicht der Markt zwischen den Museen, wo man von einem gelangweilten Postler hinter einer stets verschlossenen Glasscheibe Ersttagsbriefe kaufen kann, während modisch und chirurgisch aufgebrezelte Ivankas aus Pressburg im imperialen Ambiente ihre Kunstpelzmäntel spazieren tragen. Über alldem thront, mächtig an Körper und Haltung, Maria Theresia und schaut mit ihren Feldherren und Staatsmännern auf das punschtrinkende Standlvolk.
In Richtung Kunsthistorischem Museum erhält man  - gleich vis a vis von einem Stand mit recht weihnachtsfremder afrikanischer Stammeskunst - die Möglichkeit, bunte Wachssterne für einen guten Zweck zu kaufen, um sie mittels Flaschenzug in einen Plexiglaszylinder zu verfrachten. Man hält es kaum für möglich, dass manche Menschen sogar mit der Bedienung der dafür benötigten Kurbel überfordert sind. Die hämische Beobachtung einiger Damen, die sich ob des nicht funktionierenden Geräts schließlich sogar bei der Standlerin beschweren wollten, endete dann aber doch in einer mitleidsbedingten Systemerklärung durch den guten Wolfi und meine Wenigkeit. Man sollte sich wirklich Gedanken machen, wenn man sich von mir Technik erklären lassen muss...

Man kann mir jetzt natürlich auch vorwerfen, dass ich offenbar selbst ein regelmäßiger Besucher dieser vorweihnachtlichen Freiluftshoppingeinrichtungen bin, aber ich versichere Ihnen hiemit, dass dies aus rein sozialwissenschaftlichem Interesse heraus und aufgrund von nicht nachlassendem Gruppendruck geschieht. Aber ich gebe auch bereitwillig zu, dass ich ein großer Fan der Honiggummibärchen bin, die man in Schönbrunn und am Maria-Theresien-Platz bekommt. Gerade als Weihnachtsmensch bin ich jedoch auf das ganze Kitschbrimborium mit roten Zipfelmützen deren Bommel elektrisch beleuchtet sind, ebenso wenig aus, wie auf „Hasibutzimausischatzi“-Lebkuchenherzen und Schneekugeln mit Plastiksteffl.

In einem anderen Seitenarm des Museumsmarktes findet alljährlich eine Dependance eines fernöstlichen Wurzelschnitzers, dessen Wiener Verkaufsleiterin mich beim Betrachten ihrer künstlerisch eher mediokren Waren vor einigen Jahren einmal fragte, ob ich wüsste, was diese seien. Noch bevor ich prosaischer Mensch noch „Holz“ sagen konnte, sprudelte die Antwort aber schon ebenso ungebeten aus ihr heraus, wie zuvor die Frage: „Das sind Seelen!“ sagte sie mit einem leicht wirren Blick und einer ins Transzendente abschweifenden Stimme.
Schön zu wissen, dass man auf Wiener Christkindlmärkten wirklich alles bekommt.

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