Dienstag, 24. Juli 2012

Orbanisierung und Pontakratie, oder: Was ist los in Osteuropa?

Ungarn und Rumänien verstehen sich traditionell nicht besonders gut. Das liegt vor allem daran, dass nach dem Ersten Weltkrieg das vormals ungarische Siebenbürgen zum rumänischen Transsilvanien wurde und dort heute noch eine ansehnliche ungarischsprachige Minderheit lebt. Als Anfang Juni der ungarische Parlamentspräsident Köver, just vor den anstehenden Regionalwahlen, den ungarischstämmigen Szeklern in Rumänien einen Besuch abstattete, gingen zwischen Budapest und Bukarest die Wogen hoch. Der rumänische Ministerpräsident Ponta drohte gar, Köver ausweisen zu lassen.

Dabei stehen sich Rumänien und Ungarn an einer anderen Front mittlerweile näher als je zuvor. Gäbe es einen EU-Preis für Binnenautokratie, die Ministerpräsidenten beider Staaten wären wohl die heißesten Kandidaten dafür. Während Viktor Orbán in Ungarn seine parlamentarische Zweidrittelmehrheit nutzt, um die Verfassung umzupolen und die Pressefreiheit zu beschneiden, ist sein Namensvetter Victor Ponta in Rumänien damit beschäftigt politische Gegner kaltzustellen und den Staatspräsidenten loszuwerden.

Ponta ist ein Musterbeispiel dafür, wie es im rumänischen Staatsapparat aussieht. Er hat nicht nur seine Doktorarbeit, sondern auch seinen Lebenslauf gefälscht und es so ironischerweise bis zum Korruptionsstaatsanwalt gebracht. Seit Ponta Regierungschef ist, hat er nicht nur den Ombudsmann und die Präsidenten beider Parlamentskammern ausgetauscht, er hat auch das staatliche Gesetzblatt unter seine Kontrolle gebracht, die Kompetenzen des Verfassungsgerichts per Dekret beschränkt und durch den Bildungsminister jene Kommission mit Parteigängern verstärken lassen, die gerade seine Plagiatsaffäre untersuchte. Außerdem hat er kurzerhand - und auch per Dekret - das nötige Quorum für die Absetzung des Staatspräsidenten nach unten revidieren lassen, was vom Verfassungsgerichtshof als illegal beanstandet wurde.

Ponta stützt sich auf eine Clique aus ehemaligen Anhängern des Ceaușescu-Regimes und entließ folgerichtig als eine seiner ersten Amtshandlungen den Direktor des Natiolalarchivs, der der rumänischen Öffentlichkeit Zugang zu Dokumenten aus der Ära der kommunistischen Diktatur gewährt hatte. Die Parteienkoalition, die Pontas Regierung stützt, ist durchsetzt von ehemaligen Securitate-Mitarbeitern und Privatisierungsgewinnlern der Transformationszeit. Der politische Ziehvater des jetzigen Regierungschefs, Ex-Ministerpräsident Nastase, wurde kürzlich wegen Korruption zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Die momentane politische Krise Rumäniens wurzelt nicht nur in der von Korruption zerfressenen politischen Führungsriege des Landes, sie ist vielmehr auch Ausdruck einer unausgewogenen Realverfassung. Das politische System Rumäniens gleicht in vielen Punkten dem österreichischen. Das kommt daher, dass die rumänische Verfassung sich in weiten Teilen an jener der V. Französischen Republik orientiert und diese, wie die österreichische Bundesverfassung, ein semipräsidentielles Regierungssystem vorsieht. Während in einer Präsidialrepublik wie etwa den USA das Staatsoberhaupt auch gleichzeitig Regierungschef ist und in einer parlamentarischen Demokratie wie Deutschland die Regierung von der Parlamentsmehrheit abhängig ist, besteht in einem Semipräsidialsystem eine gewisse Machtbalance zwischen Parlament und Präsident. In manchen Fällen führt dieses Machtgleichgewicht jedoch eher zu einer Art Konkurrenzverhalten zwischen den Staatsorganen. In Österreich wird das dadurch vermieden, dass der Bundespräsident sich traditionell aus der Tagespolitik heraushält (Rollenverzicht). In Frankreich wiederum wurden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen synchronisiert, um eine sogenannte Cohabitation, also die Zwangspartnerschaft eines Präsidenten der einen Partei mit einer Parlamentsmehrheit der anderen, zu vermeiden

 In Rumänien finden die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zwar ebenfalls zeitnah statt, im Gegensatz zu Frankreich besteht jedoch ein Verhältniswahlsystem. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit von Koalitionsregierungen hoch ist und der Präsident damit mitunter erst recht einer feindlichen Parlamentsmehrheit gegenübersteht. Außerdem ist das rumänische Parteiensystem sehr volatil. All das führt zu einer Verschärfung des Konfliktpotentials zwischen Gesetzgebung und Staatsoberhaupt uns somit zu einer grundsätzlichen Instabilität des politischen Systems. 2007 versuchte die damalige Regierung erstmals und letztlich erfolglos, Präsident Traian Băsescu abzusetzen. Die 2008 gewählte Regierung wiederum zerfiel bereits nach neun Monaten.

Schließlich musste Băsescu gegen seinen Willen die von Ponta geführte Koalition akzeptieren. Diese dankte es ihm mit einem Absetzungsverfahren das zu einem Referendum am 29. Juli dieses Jahres führen wird. Viele Rumänen fürchten sich nun vor einer „Orbanisierung“ ihres Landes. Nicht ganz zu Unrecht, denn schließlich war es der ungarische Ministerpräsident, der vorgemacht hat, wie ein Staatswesen nach eigenem Gutdünken umgestaltet werden kann. Nicht nur, dass er alle Medien unter die Kontrolle einer mit Gefolgsleuten besetzten Behörde stellte und die Meinungsfreiheit mit etlichen Strafbestimmungen zu Mediendelikten beschneiden wollte, er verleibte auch die privaten Pensionsfonds dem Staat ein und verschaffte dem ungarischen Budget damit einen künstlichen Überschuss.

Die Zweidrittelmehrheit, über die seine Partei Fidesz im Budapester Parlament verfügt, nutzte Orban nicht nur, um der von ihm initiierten neuen Verfassung eine zwei Seiten lange schwülstige Präambel („nationales Bekenntnis“) zu verpassen, sondern auch, um den Einheitssteuersatz bei 16% festzuschreiben, womit er sämtliche Nachfolgeregierungen ohne verfassungsändernde Mehrheit in die Pflicht nimmt. Vor dem Verfassungsgericht dürfen Normalbürger nun nicht mehr klagen, auch die Prüfbefugnis des Gerichts wurde eingeschränkt. Das Pensionsantrittsalter für Richter wurde nach unten gesetzt, um 300 missliebige Juristen loszuwerden. Die Maßnahme wurde mittlerweile durch den Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben. Außerdem wurde Obdachlosigkeit in Ungarn per se unter Strafe gestellt.

Währenddessen ringt die EU um eine einheitliche Position. Während man sich bei Orban noch mit halbherzigen Versprechen zufrieden gab, schießt man auf Ponta bereits schärfer. Man schließe auch eine Suspendierung der rumänischen EU-Mitgliedschaft nicht aus, hieß es zuletzt aus Brüssel. Dass sowohl Kommissionspräsident Barroso, als auch Ratspräsident van Rompuy sowie die deutsche Kanzlerin Merkel - die sich besonders scharf gegenüber Rumänien äußerte - der Europäischen Volkspartei angehören, zu der auch Orbans Fidesz zählt, während Altkommunist Ponta sich Sozialdemokrat nennt, mag dabei eine gewisse Rolle gespielt haben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Orban und Ponta die zwei Seiten einer Münze sind. Scheinbar hat man es in manchen osteuropäischen Staaten noch nicht gelernt, dass die Ausübung politischer Macht nicht bis an die Grenzen der Legalität getrieben werden sollte. Aber Ponta und Orban machen es sich einfach: Wenn die Verfassung sich ihnen in den Weg stellt, ändern sie sie einfach. Der eine mag es mit verfassungsändernder Mehrheit tun, der andere mit Dekreten, das Ergebnis bleibt das gleiche.

Dass eine solche Beliebigkeit in Fragen der grundsätzlichen Ausrichtung eines Staatswesens überhaupt möglich ist, offenbart auch eine fundamentale Schwäche des politischen Systems. Eine Verfassung die nicht fähig ist, Westentaschenpotentaten und Hinterhofputins vom Hantieren mit Grundrechten abzuhalten, ist eine schwache Verfassung. Nicht umsonst haben die Verfassunggeber andernorts Korrektive für fundamentale Änderungen (wie Art 44 Abs 3 B-VG oder Art. 79 Abs. 3 GG) vorgesehen. Rumänien und Ungarn mangelt es aber nicht nur an den notwendigen Sicherungen im politischen Schaltkasten, sondern auch am verantwortungsvollen Umgang mit Macht überhaupt. Zu Umfärbungsaktionen im höheren Beamtenapparat kommt es auch in Österreich immer wieder. Wenn aber in Bukarest die Regierung wechselt, werden die Staatsbediensteten gleich in Massen auf die Straße gesetzt. Dass die Bevölkerung dabei schon längst jedes Vertrauen in die politische Führung ihrer Länder verloren hat, wundert wohl niemanden. 
„Wenn man durch Arbeit zu Reichtum kommen würde, dann müssten die Mühlen den Eseln gehören.“ rumänisches Sprichwort

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