Dienstag, 12. Januar 2010

Das Boot ist nicht voll, aber dafür rudert keiner

Der Fremde, das ist hierzulande nicht nur ein Urängste hervorrufendes Stereotyp, es ist auch - man höre und staune - ein Rechtsbegriff: Wer nicht Österreicher oder EU-Bürger ist, ist Fremder. In Österreich gibt es außer der Europäischen Menschenrechtskonvention, die im Verfassungsrang steht, aber auch sonst völkerrechtlich bindend wäre, keine verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte. Es gibt das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867, das immer noch gilt, aber wie der Name schon sagt: Nicht für Fremde! Jeder zweite Österreicher, so wird geschätzt, ist mittlerweile ausländerfeindlich eingestellt. (profil dieser Woche) Dabei deckt der Begriff Ausländerfeindlichkeit bei weitem nicht alle Aggressionen ab, die darunter subsummiert werden. Jemand kann noch hundertmal österreichischer Staatsbürger sein, sobald er Öztürk heißt ist er ein Ausländer. Die Nürnberger Rassegesetze sind in vielen österreichischen Köpfen noch lange nicht aufgehoben. Selbst in Kärnten, dem selbsterklärten Musterbundesland, das man als Integrationsbastion ansehen könnte - Wer hat sonst einen NSDAP-Gauleiter mit slowenischem Nachnamen vorzuweisen ? - werden Asylsuchende auf schweinisch schöne Almen abgeschoben oder gleich aufgrund angeblicher inkriminierender Verdachtsmomente nach Traiskirchen zurückverfrachtet, sollten sie auch rechtskräftig freigesprochen oder gleich ganz unbeteiligt sein. Wie wir dem aktuellen Profil entnehmen können, hat ein gewisser Herr S. aus der Wiener Peripherie sich bemüßigt gefühlt seine Meinung über eine medial bekannte kosovarische Familie kundzutun. In seinem Leserbrief - zur Abwechslung nicht von Hans D. - beschreibt er diese als „elendige[s] Schmarotzer-Gesindel“, deren Tochter, „diese Hure“, „sich doch umbringen“ solle, da das ohnehin nur die „Saugrünen Gutmenschen“ interessiere.(profil.at) Ich, der ich nicht gerade für meine Zimperlichkeit bekannt bin, erteile diesem Ausbruch hiermit das Prädikat Menschenverachtend.
Was bringt jemanden wie Herrn S., einen simplen kleinen Versicherungsvertreter und österreichischen Alltagsfaschisten, dazu sich dermaßen verachtend über jemanden zu äußern den er nicht kennt und der ihm nie irgendetwas getan hat? Was steckt hinter dem allgegenwärtigen, virulenten und latenten Ausländerhass in Österreich?
Als generelles Problem wird oft die höhere Kriminalitätsrate unter Asylwerbern und Migranten angegeben, die der gesamten Gruppe kollektiv angelastet wird. Diese erhöhte Kriminalitätsneigung ist wohl kaum auf eine genetische Disposition zurückzuführen, wie das Frau Winter wohl gern tun würde, sondern auf multiple Faktoren.
Migranten stammen häufig aus Staaten mit zerfallender politischer und gesellschaftlicher Ordnung, die nicht nur zu Armut, sondern auch zur Erosion der Sozialmoral führen. Zerrüttete Familien, Bildungsprekariat und Drogensucht sind deren Nebenwirkungen. Im Jahr 2006 begingen Personen ohne österreichische Staatsangehörigkeit (9,8% der österreichischen Wohnbevölkerung) 29,6% aller Delikte.(vienna.at) Die Insassen österreichischer Justizanstalten sind zu 40% keine österreichischen Staatsbürger. 2004 wurden von 1.839 nigerianischen Asylwerbern 986 inhaftiert, von 1.731 Georgiern gingen 775 ins Häfen. Ihre Asylanerkennungsrate lag dabei bei unter 1%. Von den etwa 6.000 Tschetschenen die 2004 in Österreich als asylsuchend registriert waren, landeten dagegen „nur“ 207 im Gefängnis. Ähnlich verhielt es sich mit den Afghanen. Die Anerkennungsrate dieser beiden Gruppen lag dabei bei fast 90%.(zeit.de)
Die Österreicher unterscheiden „die Ausländer“ und „die Asylanten“ jedoch nur, wenn es um die Zuschreibung angeblich spezifischer Deliktstypen geht. Türken sind brutale Vergewaltiger, Tschetschenen stehlen, Nigerianer dealen und Georgier brechen ein. Das Problem dabei ist, dass diese Straftaten zwar nicht mehrheitlich, aber tatsächlich oft überproportional häufig von einer Ethnie verübt werden und zwar einfach deshalb, weil die Bandenbildung meist in sozial geschlossenen Gruppen erfolgt oder fehlende soziale Tabuisierung eine Rolle spielt.
Beim „Ausländerthema“ vermischen sich Fiktion und Fakten teils auf dramatische Weise. Einzelerlebnisse führen dabei häufig zu einer Gruppenstigmatisierung. Wer kennt nicht die Geschichten von pöbelnden und aggressiven türkischen Jugendlichen, die den Sohn eines Bekannten verprügelt und die Tochter einer Freundin wüst begrabscht haben? Diese Geschichten mögen im Einzelfall wahr oder unwahr sein, ihre Brisanz schöpft sich aber allein daraus, dass für diese Leute gemäß Volksempfinden noch die Kollektivschuld gilt. Schlägt mich Franz, ist er ein „Arschloch“, schlägt mich Mehmed ist er ein „scheiß Türke“. Für seine Faust zeichnen alle Türken und Türkischstämmigen verantwortlich, sie sind das brutale Frauenunterdrückervolk mit zügellosen Machosöhnen. Zurückzuführen ist diese unfreiwillige Verbandsverantwortlichkeit auch darauf, dass sie durch Sprache, Aussehen und Verhalten als Minderheit auszumachen sind. Welcher Wiener Vorstadtprolet würde einen Türken im Anzug, der ihm in der U-Bahn aus Versehen auf die Zehen steigt als „scheiß Türke“ beschimpfen? Bei einem Krocha würde ihm das sicher weniger schwer fallen.
Die Leidtragenden an der ganzen Sache sind vor allem jene Migranten, die integrationsfähig sind. Türkische Eltern, die ihre Kinder in die Schule schicken, auch den Töchtern Taschengeld geben und dafür sorgen, dass die Söhne sich nicht gebärden wie wildgewordene Teenager, landen ebenso im Ausländertopf, wie all jene die man zu Recht als integrationsunwillig bezeichnen kann. Österreicher hingegen, denen es egal ist wo ihr 14-jähriger Nachwuchs um drei Uhr nachts steckt, werden zwar eventuell als Gesindel verunglimpft, auf Österreich als ganzes fällt ihr Handeln aber nicht zurück. Wer beißt sich schon in den eigenen Schwanz?
Die Mehrheit der Migranten leidet dabei unter der Minderheit, zeigt doch die Statistik, dass man sie auch in die andere Richtung lesen kann: Von allen in Österreich lebenden Ausländern waren 2006 genau 1,6% straffällig geworden, von den Österreichern waren es 0,6%. Von einer überbordenden Ausländerkriminalität der Einwanderer kann also kaum eine Rede sein, das Problem machen eher der Kriminalitätstourismus und einige Gewohnheitsverbrecher, wie es sie auch mit österreichischem Pass geben soll.
Dennoch, Ausländer bleibt Ausländer. Ob Türkischer Gastarbeiter oder Georgischer Asylant, die Abschiebung aller Fremden würde in Österreich zurzeit wohl großen Zuspruch finden. Kein Wunder also, dass unter der zweiten Einwanderergeneration die FPÖ bereits stärkste Partei ist. Am liebsten würde man die Problemfälle selber auf einfache Weise loswerden um nicht ständig mit Anfeindungen leben zu müssen.
Dabei wäre der Staat ohne Zuwanderung gar nicht mehr lebensfähig. Ein Land in dem Kinder als Lästig gelten braucht sich nicht zu wundern, wenn es ohne Migration zu entvölkern droht. Die Zuwanderer sind dabei nicht alle untätig oder liegen dem Staat überproportional auf der Tasche. Zwar waren im Oktober 2009 10% der Wiener Arbeitslosen nicht österreichische Staatsbürger, doch wird bereits 17% der Wirtschaftsleistung in Wien von Migranten erwirtschaftet. Man stelle sich nur einmal die Stadtbezirke zwischen Ring und Gürtel ohne ausländische Läden vor, mehr als 2/3 der Geschäftslokale würden wohl leerstehen.
Die Migrationsdiskussion in Österreich gleicht oft einer Gruppentherapie, bei der jeder Beteiligte sich verletzt fühlt. Die Alteingesessenen, so auch Herr S., schwadronieren über die arme Elterngeneration, die doch dieses Land nach dem Kriege wieder aufgebaut habe. Dass ebendiese Generation das Land auch in diesen Krieg geführt hat, wird wohlweislich verschwiegen. Die Hawliceks und Prohaskas sind bei der Verteidigung ihrer Pfründe nicht weniger fanatisch als die Wagners und Webers. Die Einwanderung wird regelmäßig als Einbruch ins Paradies dargestellt, dass sich die Österreicher geschaffen hätten und zu dem nun niemand anderer Zutritt haben soll. Dass aber auch auf der Insel der Seligen Straßen geteert, Erdbeeren geerntet und Trottoirs gefegt werden müssen, wird dabei häufig vergessen. Man möge mir den Österreicher zeigen, der für einen Hungerlohn Marchfeldgurken pflückt wie es Slowaken und Rumänen tun.
Einige Migranten wiederum pflegen ihr Opferimage und arbeiten eher an ihrer Isolierung als am Zusammenleben. Wer Financiers des internationalen Terrorismus zum Brunch mit dem Bundespräsidenten mitbringt, die Steinigung von Ehebrecherinnen verteidigt oder die Errichtung eines Kalifats fordert, hat es schwer sich als liberal und gutgesinnt zu präsentieren.
Eine Entschärfung der Diskussion wäre nur durch umfassende Maßnahmen zu erreichen, die auch nicht von heute auf morgen Wirkung zeigen werden:

- Die Bundesregierung muss die Beschleunigung der Asylverfahren gewährleisten. Drei Jahre Durchschnittswartezeit sind für niemanden akzeptabel.

- Das humanitäre Bleiberecht ist in gerechtfertigten Fällen zu gewähren. Wem tut es weh, dass Arigona Zogaj hier wohnt? Wem tut es weh, dass sie hier zur Schule geht, ihr Vater und ihre Brüder hier arbeiten? Wer Migranten schon als visuelle Beleidigung empfindet, sollte sich lieber die Augen nach der Ödipusmethode behandeln lassen.

- Es reicht nicht ständig nur Integration zu fordern. Selbst wenn man diese als Bringschuld betrachtet: Man kann nicht jemanden mit gebrochenen Beinen auffordern große Sprünge zu machen. Manche Menschen sind ohne staatliche Unterstützung einfach integrationsunfähig auch wenn sie guten Willens wären. Will man diese Leute stehen lassen und warten, bis HC-Strache für sie einen Viehwagon organisiert?

- Vor allem die sprachliche Früherziehung für Migrantenkinder und die Sprachbeherrschung bei nachgezogenen Familienmitgliedern muss verstärkt gefördert werden.

- Politische und soziale Bildung sind Schlüsselkompetenzen, die an den heimischen Schulen endlich vermittelt werden müssen. Wer nicht versteht was Freiheit und Demokratie sind, kann sich auch nicht damit identifizieren.

- Höflichkeit ist ein Um und Auf bei jedem Zusammenleben. Man pfeift Frauen nicht hinterher, man stiehlt nicht, man pöbelt Leute nicht an, bezeichnet Menschen nicht als dreckiges Ausländergesindel oder als Huren, egal ob als In-, Aus- oder Rundherumländer.

Dieses Land muss endlich mit der Realität leben. Zuwanderung ist keine Option, sondern ein Faktum. Man kann sie nicht verhindern, sondern nur steuern. Versprechungen von einem ausländerfreien Österreich sind nicht nur unmenschlich und pervers, sondern auch eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Suiziderklärung. Wird Strache Bundeskanzler, kann Nordkorea wohl nur mehr mit dem vorletzten Platz im „Human Development Index“ rechnen.

Jeder ist Ausländer - fast überall.

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