Donnerstag, 5. August 2010

Stinktiere und rote Hosen: Herzlich willkommen im Sommerloch!

Jörg Haider hat ein paar Millionen in Liechtenstein geparkt. Zumindest behauptet das ein Steuerhinterzieher in seinem Tagebuch, der das von einem guten Freund gerüchteweise gehört hat, es mittlerweile aber selbst nicht mehr glaubt. Nicht, dass man es sich nicht vorstellen könnte, aber vielleicht hätten sich die Medien nicht so heißhungrig auf das Thema gestürzt und etwas distanzierter berichtet, wenn da nicht dieses Nachrichtenvakuum wäre, das Sommerloch.

Im Juli und August verabschiedet sich die Weltpolitik vorübergehend, da diverse Staatsmänner und Minister auf den Anwesen ihrer reichen Freunde urlauben, sich für ihren Malediven-Trip gratis in die Business Class upgraden lassen oder mit einem bekannten Banker - nennen wir ihn mal Gaius Deindl V. - auf seiner Yacht in der Adria herumtuckern, natürlich ohne sich über Politisches oder Geschäftliches zu unterhalten. Zumindest einige bleiben als Systemerhalter zurück und nutzen die Abwesenheit der Konkurrenz zur Eigenprofilierung. So schmückt sich der allseits beliebte Hotelsteuernsenker und Hobbyanglizist Guido Westerwelle dank Angies Urlaubspause mit dem in Deutschland sonst wenig beachteten Titel eines Vizekanzlers und gibt eine elendslange Pressekonferenz in der er so bombastische Beschlüsse wie die Einführung des L-17-Führerscheinprogramms in Deutschland und das neue Lateinamerikakonzept der Bundesregierung vorstellt. Doch es kann noch schlimmer kommen:

Weil die „seriöse“ Politnachrichtensuppe zurzeit doch etwas dünn ist, muss sich die Journalistenriege auf anderes konzentrieren. Der ORF etwa verkündet via Webpräsenz, dass sich Frauen von Männern die rote Kleidung tragen besonders angezogen fühlen. (Kardinäle dürften davon wohl kaum profitieren, Ministranten ebenso wenig.) Auch wenn einige jetzt in den nächsten Peek & Cloppenburg rennen um sich mit neuester Schnöselmode einzudecken: Rote Hosen sind und bleiben ein Modeverbrechen gegen die Menschlichkeit.
Weiters erfahren wir vom Internetportal des öffentlich-rechtlichen Staatssenders, dass im Türkenschanzpark zu Wien über den Denkmalschutz einer Toilette gestritten wird (das historische Häusl soll abgerissen werden) und dass die britische Regierung nun Ärzte auffordert dicke Patienten als fett zu bezeichnen.
Tags darauf wird auf orf.at ruchbar, dass das „Arschgeweih“ jetzt nach oben - nämlich zwischen die Schulterblätter - wächst und dass Singvögel die „aktuellen Top-Hits bevorzugen“. Diese stille Revolution im Bereich des Körperschmucks und der Ornitologie wäre außerhalb des Mittjahresnachrichtentiefs wohl kaum bekannt geworden.
Geht man auf die Bundesländerportale des ORF wird die Informationsflaute noch deutlicher: ORF-Burgenland berichtet über das Reizdarmsyndrom, „Gesund essen mit dem Mond“ und über eine erstaunliche „Hochsaison im Hundesalon“. In Kärnten ist das „Stinktier 'Emely' entlaufen“, ein entsprechender Finderlohn wird offeriert. Vorarlberg meldet einen Blitzeinschlag in einem Haus in Rankweil. Sollten sie jetzt noch nicht vor lauter Neugier und Staunen tot umgefallen sein, die Eigentümer der Gebeine die laut ORF-Steiermark kürzlich unter der Grazer Burg gefunden wurden, sind es bestimmt.

Auch andere Medien überschlagen sich mit Weltneuheiten: Das Vorarlberger Nachrichtenprotal „vol.at“ meldet den Weltkatzentag und die Adoption eines Hundes durch Robert Patinson (sollten sie ihn nicht kennen, das ist der Hollywood-Schönling, der sich nur ungern duscht und als Vampir verkleidet kleinen Mädchen das Geld aus den Taschen saugt). Weiters gibt „Vorarlberg online“ bekannt: „Papst Benedikt traf 53.000 Ministranten“ - ein Schelm wer Böses dabei denkt...

Sogar die „Neue Zürcher Zeitung“ hat eine Sensation zu bieten (Schweizer sind bekanntlich sehr emotionale Zeitgenossen): „Die Nerven liegen blank: Westschweizer Super-League-Klubs fühlen sich von der Refs benachteiligt“. Gleichzeitig erfährt man, dass der Pontifex Maximus für seine Messe in Großbritannien Eintrittsgeld verlangen wird. Die 53.000 Ministranten können sich also doch glücklich schätzen. „Spiegel online“ informiert derweilen, dass Aldi-Gründer Theo Abrecht nach seinem Leben nun auch noch seinen Wagen abzugeben hat.

Zumindest manches ändert sich nicht gegenüber der politischen Hochsaison: Während die - zugegeben tragischen - 21 Toten der Love-Parade in Duisburg die Nachrichten dominieren („medial breitgetreten werden“ wäre sogar für mich zu unsensibel), sind in Pakistan schon über 1.500 Menschen bei einer spärlich präsenten Flutkatastrophe gestorben. Pakistanische Tote sind wohl zu jeder Jahreszeit weniger berichtenswert...

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