Sonntag, 22. Mai 2011

Radikale Fußballfans, oder: die intellektuellen Meica-Würstchen

Fan kommt von Fanatismus und bei der Entourage so manchen Sportvereins trifft der ursprüngliche Wortsinn noch immer zu. Wenn da etwa ein aggressiver Mob von Rapid-Anhängern aufs Spielfeld stürmt, um gewaltsam das Wiener Derby zu beenden, spricht man vielleicht besser von Fanatikern. Deren heutige Aktion war zuvor bereits nebulös im Internet angekündigt worden, was die Polizei dazu veranlasste mit mehreren hundert Beamten vor Ort zu sein. Aber woher kommt diese unberechenbare Gewaltbereitschaft und wie können wir ihr entgegentreten?

Ich muss Ihnen gestehen: Ich bin eigentlich kein großer Fußballfan. Ein Sport in dem es grundsätzlich darum geht mit möglichst viel Geld möglichst viele gute Spieler einzukaufen, hat für mich kaum einen kompetitiven Effekt. Der Kampf ums runde Leder interessiert mich eigentlich nur, wenn die österreichische Nationalmannschaft spielt. Das erfordert zwar eine gewisse Portion Masochismus, aber immerhin ist die Niederlage dann eine hausgemachte Eigenproduktion. Durch die Distanz zum Sport kann man natürlich so manchem Gespräch nicht folgen, muss aber auch keine Farbe bekennen. Besonders in Wien ist das von Vorteil, weil man da leicht in unschöne Diskussionen geraten kann, wenn es um die Frage Rapid oder Austria bzw. grün-weiß oder violett geht. Wenn man auf einen Rapid-Fan triff, wird sich die Diskussion vermutlich auf wenige - dem Gesprächspartner bekannte - Worte beschränken und dann fließend in Tätlichkeiten übergehen. Sie merken: Ein paar Stereotype hab ich dann doch aufgeschnappt. Die Rapidler sind angeblich Proleten, die Austrianer schöngeistige Philanthropen. Dass das nicht in allen Fällen zutreffen wird ist klar, aber ein Fünkchen Wahrheit wird schon dran sein:

Der SK Rapid wurde schließlich als Arbeitersportverein gegründet, hat also seine Wurzeln durchaus im Proletariat. Das soll an sich noch nichts Schlimmes sein, aber wenn man weiß, wie der sogenannten Ultras, also die Hardcore-Rapidler so ticken, kann man schon ins Grübeln kommen. Auf der Fan-Seite wird die Legalisierung von Feuerwerkskörpern im Stadion unter dem Motto „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ gefordert und die emotionale Bedeutung des Feuers mit Worten gelobt, die einen eher an Berlin 1933 erinnern, als an Wien 2011:
„Das Licht der Fackeln hat etwas Magisches, fast Unbeschreibliches an sich. Kein anderes Hilfsmittel schafft es, eine Begeisterung auf derart einfache Weise zu steigern und durch nichts anderes lässt sich eine Freude stärker zum Ausdruck bringen.“
Das mag auch kein Zufall sein. In der Vergangenheit war Rapid stets als der braune Pfuhl im österreichischen Fußballfanbereich bekannt. Vielleicht kein Wunder bei einem Verein, der schonmal deutscher Meister war, nämlich 1941.Vor 20, 30 Jahren wurde bei Spielen gegen die Veilchen, so der inoffizielle Titel der Wiener Austria, von den Rapid-Fans oft noch „Austrianer Judenschweine“ skandiert. Vor der Arisierung des Vereins 1938 war ein Teil des Austria-Vorstandes nämlich jüdischen Glaubens gewesen. In den 80er Jahren war die rechte Szene im Bereich der Rapid-Anhängerschaft noch sehr aktiv. Der kürzlich erneut festgenommene Neonazi Gottfried Küssel versuchte - letztlich ohne Erfolg - die Radikalen unter seine politische Kontrolle zu bringen. Freilich hat sich seit damals einiges gebessert und die NS-Vergangenheit wurde vom Klub in Buchform aufgearbeitet, aber wer glaubt, dass der Neonazismus in den Reihen der Rapidler gänzlich ausgeräuchert sei, hat sich geschnitten. Zum 291. Wiener Derby 2009 ließen Rapid-Fans eine Simpsons Darstellung von Hitler mit Rapid-Armbinde für „Tod und Hass“ gegenüber der Wiener Austria werben (siehe Der Standard). Beim Spiel gegen Mattersburg am 20. April dieses Jahres hielt ein Rapid-Anhänger ein Taferl mit der Aufschrift „Alles Gute Adi!“ hoch.
Das alles mag eine Erklärung für die Radikalisierung sein, aber sicher nicht die einzige. Rapid hat 166 offizielle Fanclubs, nur ein kleiner Teil dürfte derart radikalisiert sein. Für den österreichischen Rechtsradikalismus selbst ist die Hooligan-Szene laut Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ohnehin von eher geringer Bedeutung:
„Für die Entwicklung des Rechtsextremismus in Österreich spielen rechtsextremistisch agierende Sportfans jedoch nach wie vor keine relevante Rolle.“ Verfassungsschutzbericht 2010
Trotzdem bleibt es ein Problem, das sich nicht wegleugnen lässt und das sich auch nicht allein auf die Anhängerschaft des Sportklubs Rapid beschränkt. Auch bei der Austria gibt es nicht nur Lämmchen. Gewaltbereite Radikale sind eine Gefahr für ihre Mitmenschen und müssen zur Raison gebracht werden.
Aber wie kommt man überhaupt dazu sich ein Rapid-Tattoo zuzulegen, und mit vermummten Gesicht das Spielfeld stürmen? Die Antwort ist wahrscheinlich sehr einfach und sehr traurig: grenzenlose Primitivität. Die Menschen, in überwiegender Mehrheit Männer, die zum harten Kern der gewaltbereiten Fans gehören, dürften wohl zum größten Teil perspektivenlose Angehörige des Bildungsprekariats sein. Das sind geistig ganz arme Würstel, die außer ihrem Verein nichts haben, auf das sie stolz sein könnten. Höchstens noch ihr Land, aber das ist nicht stolz auf sie. Also steigern sie sich in ihre soziale Ersatzbefriedigung hinein: das Team. Ein Sieg der Mannschaft ist ein Sieg für alle und deren Niederlage eine persönliche Schmähung. Ist man mit dem Kader, der Aufstellung oder dem Trainer nicht zufrieden, wird von den Fans auch schon mal Klubpolitik gemacht. Die Erstürmung des Spielfeldes kann da ein Mittel sein.
Jedenfalls sollte man die Engagementbereitschaft radikaler Fans niemals unterschätzen, denn der Klub ist oft ein wesentlicher und konstitutiver Bestandteil ihrer eigenen Identität. Seinen absoluten Lebensmittelpunkt rund um einen Sportverein zu bauen ist zwar genauso armselig, wie politischer oder religiöser Fanatismus, kann aber auch zur Kanalisierung des Aggressionspotentials des - drücken wir es mal nonchalant aus - gesellschaftlichen Bodensatzes dienen. Dazu zählt sicher nicht die breite Masse der Fans. Schließlich kann man sich auch als kultivierter Mensch für Fußball begeistern. Wendelin Schmidt-Dengler, die Koryphäe der österreichischen Germanistik, war schließlich auch Rapid-Anhänger. Und selbst der Bundespräsident zählt zu den Grün-Weißen. Wichtig ist in allen Fällen, dass man die Kontrolle über den Fansektor behält und nicht an eine radikalissierte Minderheit verliert. Dem SK Rapid ist die Macht über seine Anhängerschaft heute sehr deutlich entglitten.

Wie also umgehen mit gewaltbereiten Fans? Die Antwort: Rigoros. Während in England und andernorts längst lebenslange Stadionsperren vergeben werden, ziert man sich hierzulande oft vor allzu strengen Maßnahmen. Wenn eine Hundertschaft von alkoholisierten Retardierten das Grün stürmt, bereit und willens die Konfrontation mit der Staatsmacht zu suchen, muss diese darauf eine passende Antwort finden. Deeskalation zwar ist ein wichtiges Prinzip moderner Polizeiarbeit, aber sie greift nur dort, wo Eskalation nicht das absolute Ziel des Gegners ist. Es ist sicher nicht leicht 400 Polizisten über ein Spielfeld zu schicken, ohne dass die Formation bricht, aber man sollte es doch versuchen. Geglückt ist heute zumindest die Verhinderung massiver Gewalt durch das geballte Auftreten der Exekutive. Positiv ist auch, dass von Zivilbeamten permanent mitgefilmt wird. So können etwaige Täter, derer man nicht sofort habhaft wird, auch später noch belangt werden. Dem gegenüber steht natürlich das Problem der Vermummung. Allein an ihren Männerbrüsten lassen sich leider nicht alle Unruhestifter identifizieren.
Ziel eines solchen Polizeiaufgebots muss es freilich sein die Verantwortlichen zweifelsfrei festzustellen und ihre permanente Entfernung aus den Stadien dieser Republik zu veranlassen. Das klingt sehr einfach, ist es aber offensichtlich nicht.

 Das könnte auch an der intensiven Verflechtung von Sport und Politik in Österreich liegen. Präsident des SK Rapid ist der ehemalige Finanzminister Rudolf „Ich-reiß-euch-alle-Steckdosen-raus“ Edlinger. Dem abgebrochenen Spiel mit der Austria wohnte auch die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer bei. Traditionell ist die Chefetage bei Rapid rot. In Österreich ist es ja bekanntlich so, dass der Leidensdruck ins Unermessliche steigen muss, bis die Politik tätig wird. Vielleicht hat der heutige Tag zu einem Umdenken beigetragen.

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