Freitag, 7. Oktober 2011

Herbert Sausgruber geht, oder: Der Mann ohne Eigenschaften.

Herbert Sausgruber wird nach über 14 Jahren als Vorarlberger Landeshauptmann zurücktreten. Seine Gesundheit erlaube ihm das übliche Arbeitspensum von 70 bis 80 Wochenstunden nicht mehr, so die Begründung. Aber wer ist dieser Sausgruber eigentlich und hat man ihn wirklich gekannt?

Das politische System Vorarlbergs ist geprägt von permanenter Stabilität. Sausgruber ist erst der vierte Landeshauptmann seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, während Österreich schon vom zwölften Kanzler regiert wird. Dabei liegt er mit der Länge seiner Amtszeit im Vergleich nur im Mittelfeld. Zwar regierte sein unmittelbarer Vorgänger Martin Purtscher verhältnismäßig kurze zehn Jahre, die Landeshauptleute Ilg und Kessler jedoch 19 und 23 Jahre. Die lange Funktionsperiode der Landespatriarchen ist hierzulande jedoch generell typisch. Sausgruber ist nach Pröll (seit '92), Häupl (seit '94) und Pühringer (seit '95) derzeit nur der viertlängst-dienende Landeschef.
Bevor er 1997 in sein aktuelles Amt gewählt wurde, war er sieben Jahre lang Statthalter, also Stellvertreter des Landeshauptmannes. Den Parteivorsitz der Vorarlberger ÖVP, den er nunmehr mit sofortiger Wirkung niedergelegt hat, hatte er aber bereits 1986 übernommen. Ein Vierteljahrhundert ÖVP-Obmannschaft bedeutet vor allem eines: Sausgruber ist ein Partei- und ein Machtmensch. Trotzdem gilt er weithin als eher unscheinbarer Technokrat. Unter den österreichischen Landeshauptleuten ist er wohl die farbloseste Figur. Er spricht langsam und bedächtig, fast einschläfernd. Seitenscheitel, runde Brille, schlanke Figur: An Sausgruber hat sich bis auf die ergrauten Haare nie etwas verändert, er ist die fleischgewordene Volkspartei. Seine politische Arbeit fand dabei vor allem hinter den Kulissen statt, nur selten trat er laut auf.

Nur, als ausgerechnet die schwarz-blaue Bundesregierung den Gebietskrankenkassen eine Zwangsumverteilung aufbürdete, um marode Versicherer unter ihnen zu sanieren, begehrte Sausgruber auf. Die Auflösung der Rücklagen der VGKK bekämpfte die Landesregierung beim VfGH und bekam Recht. Ansonsten hielt sich „Häuptling Sausewind“, wie er auch ironisch genannt wurde, großteils aus der Bundespolitik heraus. Er verfolgte das, was er wohl selbst den „Vorarlberger Weg“ nennen würde. Das bedeutete für Ihn vor allem völlige Machtentfaltung auf Landesebene. 

Die schweigsame Art, das besonnene Auftreten täuschten all die Jahre darüber hinweg, dass Herbert Sausgruber ein kühl kalkulierender Pokerspieler ist, der im Hintergrund auch schon mal über Leichen ging. Dass er seinen Vorgänger Purtscher mehr oder weniger unsanft aus dem Amt gemobbt hat, ist dabei nur eine Facette. Dieser hatte nie Landesparteiobmann werden wollen, ein politischer Verzicht, den Sausgruber zum systematischen Aufbau seiner Hausmacht nutzte. Als die Stunde geschlagen hatte, wollte sich Purtscher den kindischen Clinch nicht mehr geben und ging. Sausgrubers Ambitionen erhielten aber schon zwei Jahre später einen jähen Rückschlag, als er 1999 als erster Vorarlberger Landeshauptmann die absolute Mehrheit der ÖVP im Landtag verlor. Die Koalition mit der FPÖ, die man seit dem 70ern nach dem Motto „divide et impera“ geführt hatte - wurde nun zum politischen Muss. Die Statthalterschaft ging vorübergehend an Hubert Gorbach und dessen Nachfolger Dieter Egger über. Die Absolute konnte der Landeshauptmann 2004 jedoch zurückerobern und 2009 verteidigen. Vor der letzten Wahl kündigte er an die Blauen wegen antisemitischer Wahlkampfaussagen Eggers aus der Regierung zu schmeißen. Ein mutiger Schritt, aber es heißt auch, das habe ihm die Absolute gerettet.

In der Regierung verfolgte der Landeshauptmann den gewohnten Vorarlberger Kurs des wirtschaftlichen Liberalismus und gesellschaftsmoralischen Konservativismus. Prostitution blieb de facto verboten, Abtreibungen in Landeskliniken ebenso. In diesen Punkten steht ihm auch sein designierter Nachfolger Markus Wallner um nichts nach. Vermutlich hat Sausgruber ihn auch deshalb ausgewählt: Sie sind ideologische Zwillinge. Innerparteiliche Konkurrenten wurden systematisch kaltgestellt, meist ohne dass die Öffentlichkeit viel davon erfahren hätte. Dass Landesrat Rein aus der Regierung in die Wirtschaftskammer wechselte, war aber ebenso kein Zufall wie die Entgleisung Sausgrubers, als er den Prozess gegen den Feldkircher Bürgermeister Berchtold eine Belastung für die Partei nannte. Vielleicht war dies das einzige Mal, dass man den Machtmenschen Sausgruber wirklich öffentlich sehen konnte. Den langjährigen innerparteilichen Konkurrenten und als potentiellen Nachfolger gehandelten Berchtold in dessen schwächster Stunde mit dem Speer niederzustrecken, war ein Vorgehen, das ihm auch innerhalb der Landes-ÖVP viel Kritik einbrachte. Sausgruber konnte das egal sein, er hatte Wallners Nebenbuhler von der Basis ausgeschalten. Die anderen „Papabiles“ Rüdisser und Gögele wurden dagegen erst in letzter Minute ausgebremst.

Lange hatte sich der Landeshauptmann geziert zurückzutreten, wie ein Kind, das nicht ins Bett will. Aus dem Amt des Landeschefs wird man ja selten abgewählt. Daher bleiben für den Generationenwechsel meist nur zwei Möglichkeiten: Parteirevolte oder Rücktritt. Dass Sausgruber sich so lange halte konnte, hat unmittelbar mit seiner Verfügungsgewalt über die Landespartei zu tun. Eine Revolte ist nicht nur grundsätzlich unvorarlbergerisch, sie war auch durch die allerorts vorhandenen Gewährsleute des 25-Jahre-Parteichefs ausgeschlossen. Nicht, dass Sausgruber überhaupt keine Gegner gehabt hätte, insbesondere der Wirtschaftsbund stand ihm immer kritischer gegenüber. Er durfte die Wahlkämpfe der Landespartei finanzieren, machtpolitisch wurde er aber klein gehalten, ein Mitgrund für den frustrierten Abgang Manfred Reins. Fünf von sieben Regierungsmitgliedern und die beiden Landtagspräsidentinnen, die die ÖVP stellt, gehören dem Arbeitnehmerbund an. Postenmäßig sieht sich der Wirtschaftsbund seit Jahren unterrepräsentiert. Dafür, dass das auch so bleibt, sorgte Sausgruber vor seiner Abgangsankündigung noch selbst. Telefonisch ließ er die einzelnen Mitglieder im Parteivorstand befragen, ob sie denn mit Wallner einverstanden wären. Demokratie, auf die man in Vorarlberg sonst so viel hält, sieht gewöhnlich anders aus. Letztlich gab auch der Wirtschaftsflügel seinen Widerstand gegen Wallner auf und ließ seinen Gegenkandidaten Rüdisser fallen. Der könnte als Ausgleich den Statthalterposten erben. Rainer Gögele wird als Landesrat für das Gesundheits- und Hochbauressort gehandelt.
„Und meine Frau freut sich auch.“  - Herbert Sausgruber
Was kann man sonst noch über Herbert Sausgruber sagen, außer dass er nur selten sein wahres Gesicht gezeigt hat und langsamer spricht, als ein Schlaganfallpatient? Konservativ war er, aber welcher Schwarze ist das nicht? Und gut, er war ein Föderalist, aber man wird wohl lange auf einen Vorarlberger Landeshauptmann warten müssen, auf den diese Aussage nicht zutrifft.
Er war ein nach außen unaufgeregter Charakter, der in seiner politischen Schublade immer ein geschliffenes Messer parat hatte. Er versuchte die zwei Vorarlberger Tugenden schlechthin zu verkörpern: Emotionale und finanzielle Ausgeglichenheit. Wenn man jetzt davon spricht, dass der „Landesvater“ zurückgetreten sei, ist das aber übertriebene Lobhudelei. Sausgruber war kein „Pater Patriae“, denn für so etwas braucht man Eigenschaften wie Sanftmut und Güte. Er aber war vielmehr wie eine Schildkröte: langsam aber zielstrebig, mit dickem Panzer und wechselblütig. 

Zugegeben, er hat das Land nicht bankrottiert und das muss man einem Politiker heutzutage ja schon hoch anrechnen, seine Innovationsbereitschaft aber hielt sich vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich in sehr engen Grenzen. Vorarlberg ist heute ein fast schuldenfreies Land ohne Universität mit einem Minarettbau- und Nacktbadeverbot sowie mehreren geheimen Straßenstrichen. Eine gewisse konservative Verlogenheit kann man dieser Situation nicht absprechen. Herbert Sausgruber hat dafür gesorgt, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird.


Das Zeitalter ist unphilosophisch und feig; es hat nicht den Mut zu entscheiden, was wert und was unwert ist, und Demokratie, auf das knappeste ausgedrückt, bedeutet: Tun, was geschieht!  - Robert Musil - Der Mann ohne Eigenschaften

2 Kommentare:

  1. Feiner Artikel, zu den Landesregierungen, da war bis in die 80er die SPÖ auch dabei!

    und was noch fehlt, Sausgruber hat die Personalhoheit abgegeben, bis 2 Jahre vor Rücktritt entschied er alleine über jede Einstellung im Landesdienst, dies tut nun mehrheitlich der Personalchef, der KEIN schwarzer ist.

    weiters wurde von Sausgruber das Zukunftsbüro ins Leben gerufen, gut dotiert und unabhängig von politischen Zurufen. Das Personal dort kann man ebenfalls nicht einer Partei zurechnen!

    und was sußerdem noch NICHT erwähnt wurde, Sausgruber hatte die mit Abstand schwächste Opposition aller Zeiten! die SPÖ ist in die politische Bedeutungslosigkeit abgerutscht, die Grünen waren nie wahnsinnig groß, die FPÖ hat viele Stimmen, aber wenige Mitstreiter und auch die ÖVP hat stark an Verankerung in der Bevölkerung verloren.....

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    1. Das Stimmt, die Opposition ist wirklich zu vernachlässigen. Da hatte Sausgruber gewissermaßen leichtes Spiel. Und wenn die Sonne der Geschichte tief steht... Der einzige Oppositionspolitiker der intellektuell mehr als ein Gramm auf die Waage bringt ist Johannes Rauch, über seinen Stil lässt sich freilich streiten. Dass seit Keckeis bei der SPÖ nichts besseres nachgekommen ist, ist auch kein Geheimnis und von den FPÖ-Mandataren muss man gar nicht erst anfangen, da hatt ja der Herr Egger in seiner unermesslichen Geltungssucht selber alle abgeschossen die mit dem Hirn über der Rasenkante waren. Die SPÖ hat die Landesregierung aber nicht in den 80ern, sondern schon 1974 verlassen.

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