Donnerstag, 13. Oktober 2011

Die Steiermark, oder: das grüne Bpoundtesloundt

Wir setzten unsere kulturanthropologische Bundesländertour nach Vorarlberg, Tirol und dem Burgenland mit den Steirern fort. Rückblickend sei der aufgekommenen Kritik an gewissen Burgenländer-Stereotypen mit Daten der österreichischen Verkehrsstatistik begegnet, die Vorarlberg im Ländervergleich regelmäßig Platz zwei bei Autounfällen unter Alkoholeinfluss einräumt, gleich hinter dem Burgenland. Und um die Kurve zum aktuellen Thema wieder zu kratzen seien die transleithanischen Patrioten noch darauf hingewiesen, dass sich unter den zehn Bezirken mit der höchsten Alkolenkerquote nur drei burgenländische, aber gleich fünf steirische befinden.

Wahrscheinlich hätte es sich eher bewährt im Reigen der österreichischen Bundesländer demonstrativ jene ohne spezielle Affinität zum Alkohol - Welche waren das noch gleich? - aufzuzählen, als eine taxative Enumeration der ethanolischen Gliedstaaten zu beginnen. Sei's wie's sei, der Fehler ist gemacht und wir sind in der Steiermark angelangt. Um die kleine Statistik von vorhin zu vervollständigen: Im südsteirischen Radkersburg waren 2010 immerhin 12% der Unfalllenker alkoholisiert, womit es einsam an der österreichischen Spitze steht. Insgesamt sind 4,3% der Steirer Alkoholiker, drei mal soviele stehen kurz davor.

Der Schilcher, ein Genuss für jedermann.
Aber um etwas von der Empirie herunter und zu den unbelegten Vorurteilen zurück zu kommen: Die Steiermark ist in weiten Teilen Rotenasenland. Was dem Burgenländer sein Uhudler ist dem Steirer sein Schilcher, ein Roséwein von ausgesprochener Fmackhafftigkeit und Füffe. Schon Papst Pius VI. soll seinen Geschmack gerühmt haben:
„Sie haben Uns einen rosaroten Essig vorgesetzt, den sie Schilcher nannten.“
Vielleicht war es auch der „Schücha“, der den armen Steirern den Sprechapparat verätzt hat. Die Bewohner des grünen Herzens Österreichs, wie das waldreichste Bundesland auch genannt wird, leiden nämlich neben dem Alkoholismus noch unter einer chronischen Erkrankung der Stimmbänder, die von Norden nach Süden hin degenerativ fortschreitet. Sie führt zu phonetischen Auswüchsen, die gemeinhin als Bellen und Tschentschen beschrieben werden und lautmalerisch nur schwer wiederzugeben sind. Für gewöhnlich wird je nach Ton- oder Stimmlage entweder gebellt oder getschentscht, also guttural oder hochfrequent gesprochen. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, sind die Steirer auch noch mit einer veritablen d/t, b/p und g/k Schwäche keprantmargd. Die sprachlichen Schrecklichkeiten, die sich aus alledem ergeben, lassen sich am besten in meinem Lieblingswitz zusammenfassen, den jeder der mich kennt schon 1000 mal gehört hat: 
„Warum essen Steirer keine Eier?“ - „Wö do a Doudta drin is.“ 
Für alle, die in die linguistischen Feinheiten des südlichen Österreich nicht eingeweiht sind: Steirer unterscheiden in der Aussprache nur unmerklich oder gar nicht zwischen Toten und Dottern, kulinarisch aber Gott sei Dank schon. Eigentlich wäre es ja wünschenswert, wenn die eine sprachliche Minderheit der anderen, nämlich den Steirer Slowenen, etwas Anerkennung zollen würde. Die Steiermark ist das letzte Bundesland mit im Staatsvertrag anerkannter autochthoner Minderheit, in dem keine zweisprachigen Ortstafeln stehen.
Im binnenösterreichischen Humor- und Spottkreislauf ist die Sprache dafür auch der größte Angriffspunkt, den die deutschsprachigen Steirer bieten. Als Halbsteirer wird man ja schon scheel angeschaut, wenn man den Namen einer Brücke, die von Knittelfeld nach St. Margarethen führt, ortstypisch ausspricht. Dabei versichere ich Ihnen, dass die „Goubernitzer Bruckn“ mein einziger Styriazismus ist und bleibt. Aber selbst mir fiel es schwer mir das Lachen zu verkneifen, als im Zug eine telefonierende Steirerin sagte „Es is jo scho boid Wouchende.“ Man sollte sich mit den Steirern diesbezüglich aber nicht allzu sehr spielen. Wie auch die Tiroler sind sie was Sprachwitze anbelangt oft etwas sensibel und können schnell zu „Gnouchnprecha“ werden.

Die Steiermark ist sonst jedoch ein nettes Pflaster. Vor allem die deutschen Leser möchten sich aber bitte merken, dass die Einwohnerschaft als Steirer und  nicht, wie auch schon gehört, als „Steiermärker“ bezeichnet wird. Es gibt zwar das Adjektiv „steiermärkisch“, das aber nur für die Bezeichnung offiziöser Einrichtungen - wie etwa der steiermärkischen Landesregierung - gebräuchlich ist. Nimmt man sich das zu Herzen und macht man sich außerdem nicht über ihre canidae-artigen Laute lustig, sind die Steirer umgängliche Leute und auch nicht aggressiver als der Durchschnittsösterreicher. Aber natürlich mag der gemeine Steirer auch nicht alles und jeden. Zu den mit Leidenschaft geführten Lokalfehden gehören jene mit den Niederösterreichern - der Semmering ist der Arlberg Ostösterreichs - und den Kärntnern. Mit ersteren verbindet sie der Dauerstreit um den Semmeringtunnel, mit letzten der liebenswürdige Brauch des wechselseitigen Für-dumm-Erklärens, was in diversen Kärntner- respektive Steirerwitzen mit ähnlichem oder gleichem Inhalt gipfelt. Das ficht die Steirer innernational aber wenig an, weil man in Österreich traditionell Burgenländerwitze macht... außer ich natürlich.

Über die Steirer wirklich etwas Böses zu sagen ist seit David Hume auch niemandem mehr eingefallen. Der britische Philosoph machte sich mit einer ungekannt spöttischen Art schamlos über die armen Bergbewohner her. Nach seinem Aufenthalt in Knittelfeld konstatierte er: „Die Steirer sind die hässlichsten Menschen der Welt. [...] Sosehr wie das Land in seiner Wildheit angenehm ist, so sehr sind die Bewohner unzivilisiert, deformiert und grässlich in ihrer Erscheinung.“ Außerdem hätten sie „hässlich geschwollenen Kehlen“. Die Horden der völkerwandernden Babaren hätte wohl, so Humes Mutmaßung, „den Abfall ihrer Armeen“ in der Steiermark zurückgelassen. Ihre Tracht sei kaum europäisch, ihre Gestalt kaum menschlich zu nennen. Über die Tiroler vermerkte er hingegen, sie seien so bemerkenswert schön, wie die Steirer hässlich.
„Debile und Taube tummeln sich in jedem Dorf, und das allgemeine Erscheinungsbild der Leute ist das schockierendste, das ich je gesehen habe.“  David Hume
Was Hume geritten hat, als er seine antisteirischen Hetzzeilen zu Papier brachte, ist nicht überliefert. Der Autor, ein Halbknittelfelder, ist jedoch geneigt die Schuld daran nicht auf den Aufenthaltsort sondern ganz einfach den Schilcher zu schieben. Der dürfte dem Philosophen so zugesetzt haben, dass er die wahre styriakische Schönheit nur als Zerrbild sah. So und nur so kann es - zur Ehrerrettung aller - gewesen sein.

Wenden wir uns nun von dieser unschönen Episode ab und der Herkunft des Landesnamens zu: Seltsamerweise hat das flächenmäßig zweitgrößte Bundesland seinen Namen von einer Stadt, die noch dazu in Oberösterreich liegt. Steyr hat aber mittlerweile alle Ansprüche auf seine Mark fallen gelassen, seine Exvasallen sagen „Vagöitsgoudt“. Es wäre auch ein Ärgernis sondergleichen, müsste man noch den Zehnten ins Traunviertel abführen. So bleiben das gute Kernöl, der köstliche Schilcher `_´ und die handgefertigten Klapotetze in steirischer Hand und werden ebenso gewinnbringend vermarktet, wie das Bier der Marken Gösser und Murauer. Besonders das aus Kürbissaat gewonnene schwarze Gold der Steiermark hat mittlerweile internationale Bekanntheit erlangt und ist als Herkunftsmarke durch die EU geschützt. Auch wenn manche Bauern ihr Kernöl angeblich gerne panschen, bleibt es immer noch steirischer als das billige Surrogat, das mittlerweile in China hergestellt wird.

Mit einem anderen Exportartikel aus dem grünen Herzen Österreichs ist es derweilen leider nicht mehr weit her: dem Eisenerz. Etliche Schlachten und zwei Weltkriege wurde mit Eisen und Stahl aus der Steiermark gefochten. Ein eher unschöner Anteil an der Weltgeschichte.
Der Wassermann, der den Eisenerzern - so heißt sinnigerweise eine Stadt - der Sage nach Eisen für immer versprach, damit sie ihn freiließen, hat sie zwar nicht nachweislich beschissen, der Eisengehalt des am Erzberg - dem Brotlaib der Steiermark - geschürften Erzes, lässt aber stetig nach. Zwar werden aufgrund der hohen Rohstoffpreise immer noch 2,15 Mio. Tonnen Erz im Tagebau gefördert, das bereits mehrfach verschobene Aus für den Erzabbau dürfte jedoch nur noch eine Frage der Zeit sein. Was den Steirern bleiben wird ist jedoch die ruhmreiche Montanuniversität zu Leoben, die letzte Hochburg des als Schnittstelle zur Neonaziszene geltenden „Ring Freiheitlicher Studenten“. Gegründet wurde sie 1840, wie die Landesbibliothek, die Steiermärkische Sparkasse, die Grazer Wechselseitige Versicherung und etliche andere Vereine und Institutionen vom Vater der Modernen Steiermark, Erzherzog Johann, der dort heute noch wie ein Heiliger verehrt wird. Der intellektuell deutlich begabtere jüngere Bruder des „Guten“ Kaiser Franz und Intimfeind Metternichs heiratete nach langem Widerstand im Erzhause eine Postmeisterstochter und widmete sich vor und nach einer Episode als Reichsverweser - auch weil man ihm den Aufenthalt in Tirol verboten hatte - dem industriellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbau der Steiermark. 1850 wurde er sogar zum Bürgermeister von Stainz gewählt. Man wird sich schwer tun einen humanistischeren und vor allem gescheiteren Habsburger zu finden. Etwas schmachtvoll, wenn auch nicht unverdient steht daher auf seinem Denkmal am Grazer Hauptplatz:
„Unvergesslich lebt im Volke, wer des Volkes nie Vergaß.“
Trotz der johanneischen Reformen wird die Steiermark aber immer noch geographisch, gesellschaftlich, kulturell und vor allem politisch in Ober- und Südsteiermark getrennt. (Die ehemalige Untersteiermark liegt heute in Slowenien.) Die Obersteirer sind SPÖ-wählende, biertrinkende, schwammerlsuchende Arbeiter und bellen nicht ganz so wild wie die im Süden, wo man traditionell für die ÖVP stimmt sowie Wein, Kürbisse und Kukuruz anbaut.

Das innersteirische Gleichgewicht hat aus diesem Bundesland eine Art gesamtösterreichisches Politbarometer gemacht. Bis auf 2006 war bei Nationalratswahlen jene der beiden Großparteien im Bund vorne, die auch die Steiermark erobert hatte. Ansonsten ist das Land aber ein gordischer Knoten der Politik. Die Roten sind besonders rot und Landeshauptmann Voves muss sich als Kernölsozialist verunglimpfen lassen, wenn er Vermögenssteuern fordert. Die Schwarzen sind gänzlich unberechenbar, die Bundes-ÖVP fürchtet sich traditionell vor allem was aus der Steiermark kommt. Dann gibt's da allen Ernstes noch die KPÖ. Zwei Sitze halten die Marxisten von der Mur im Grazer Landtag, ihre einzigen Parlamentsmandate in ganz Österreich. Dafür sind dann aber die Blauen auch besonders rechts - Stichworte Moscheespiel und Knittelfeld. Im Land selbst regierten jahrzehntelang die Schwarzen, was sich für die ohnehin schon strukturschwache Obersteiermark besonders ungünstig auswuchs. Die ÖVP-geführten Gemeinden im Süden erhielten vom Land nämlich einfach mehr Förderungen. Wie das geht? Fragen sie die ÖVP... Seit die Steiermark eines von drei Bundesländern ist, in denen seit 1945 ein substanzieller Regierungswechsel stattgefunden hat, werden unter der SPÖ-geführten großen Koalition die Förderungen gleichmäßig verteilt und die Gemeinden wechselseitig kontrolliert:  die schwarzen Orte von roten Landesräten und die roten Gemeinden von schwarzen Regierungsmitgliedern. Lösungen können manchmal so einfach sein.

Ob die Förderungen im Norden allerdings noch viel ausrichten können, darf bezweifelt werden. Städte wie Knittelfeld oder Kapfenberg sind längst tote Zonen. Die in weiten Teilen nicht konkurrenzfähige Schwerindustrie ist abgewandert oder hat aufgrund der Technisierung Arbeitsplätze abgebaut. Außerdem hat eine verbrecherisch-dumme Raumplanung es ermöglicht, dass vor den Toren der Städte Einkaufszentren in die grüne Wiese gestellt wurden. Als Folge sind die Innenstädte ausgestorben, die Bevölkerung wandert ab. Allein Kapfenberg hat seit 1971 22,5% seiner Einwohner verloren, in Bruck an der Mur ist die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um über 17% zurückgegangen, in Knittelfeld waren es 20,5%, in Eisenerz sogar 57%. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich über 37% der steirischen Bevölkerung über 60 Jahre alt sein, darin nur übertroffen von Kärnten und dem Burgenland (je 39%), während in Wien nur 29% dieser Altersgruppe angehören werden. Natürlich ist dieses Phänomen der Entvölkerung und Überalterung nicht nur auf die Obersteiermark beschränkt, tritt dort aber besonders extrem zu Tage. Während Fürstenfeld in der Südoststeiermark seit 1971 nur einen leichten Bevölkerungsabgang verbuchen musste, hat die Einwohnerzahl in Graz (5%) Deutschlandsberg (11,5%) und Leibnitz (17%) sogar zugenommen.
Zudem hat die Steiermark ein Schuldenproblem, dem sie neuerdings mit einer Verwaltungsreform begegnen will, ein Phantom, das in Österreich immer dann auftaucht, wenn die Politiker besonders ideenlos und die Kassen besonders klamm sind. Bezirkszusammenlegungen sowie Landesregierungs- und Landtagsverkleinerung stehen auf dem Programm von Landeshauptmann Voves und seinem Stellvertreter dem ewigen Schützenhöfer. Innert kürzester zeit haben sich die beiden Langzeitfeinde auf substanzielle Budgeteinschnitte geeinigt. Vielleicht könnte sich der restliche Bundesstaat da eine Scheibe abschneiden? Wer die steirische Lokalpolitik verfolgt weiß, dass die Einigung einem Wunder gleich kommt, das nur mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen werden kann. Die beiden Kontrahenten hatten sich jahrelang bis auf die persönliche Ebene bekriegt. Der arabische Frühling? Eine historische Fußnote. Voves und Schützenhöfer arbeiten! Zusammen! Die Steiermark ist eben immer wieder für Überraschungen gut.

„Treu dem guten Alten, aber darum nicht minder empfänglich für das gute Neue.“ Erzherzog Johann
Was wir über die Steiermark wissen (© Pammesberger)

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