Montag, 23. November 2009

Warum Hass gegen Angst hilft, oder: Wie der Faschismus in die Welt kam.

Die Menschenmenge auf der Plaza de Oriente in Madrid schwenkt Fahnen und Transparente. Drei halten den Schriftzug Accion Juvenil Española (Junge Spanische Aktion) hoch, unter ihnen ein etwa 80jähriger. Eine Frau hat sich in eine rot-gelb-rote Fahne gewickelt auf der ein riesiger Adler prangt, in seinen Fängen Pfeile und Bogen, die Symbole der Falange. Das Spruchbanner über seinem Haupt verspricht Una grande Libre (Eine große Freiheit).



Falange ist das spanische Wort für Phalanx, es symbolisiert Geschlossenheit, Schutz, Abwehr. Bis zur Transición, der Zeit des politischen Übergangs zur Demokratie nach Francos Tod 1975 , war die Falange Einheits- und Sammelpartei des Spanischen Faschismus. Ihr Regime war zunehmend autoritär und weniger totalitär, wer den Mund halten konnte durfte sich ins Privatleben flüchten. Der starke Stützpfeiler der Falangediktatur war neben ihrem milizartig organisierten Repressionsapparat, der Guardia Civil, vor allem die katholische Kirche. Was fängt man mit so einem Regime an? Was sind das für Leute, die es als seine giftige Verlassenschaft zurücklässt?

Die Falange, so sind sich die Fachwissenschaftler einige, war/ist eine faschistische Organisation. Faschismus ist eines von den Dingen die man über das definiert, was sie nicht sind. So wie die Europäische Union weder Staat noch Staatenbund ist, so ist faschistisch was antidemokratisch und antikommunistisch ist. Dazwischen spannt sich ein weiter Bogen: Während die Neofaschisten auf der Plaza de Oriente "Es lebe Christus der König!" rufen, können jene, die der deutschen Faschismusfiliale nachtrauern, u. a. im Aufruhrversand dieser Tage Karten für das Julfest ordern auf denen Väterchen Odin, flankiert von seinen Raben, als Christkind- und Nikolaussurrogat herhalten muss. Während Mussolini durch die Lateranverträge den Katholizismus zur Staatsreligion machte, gab Hitler der Kirche ein Konkordat, das das Papier nicht wert war auf dem es geschrieben stand. Die große Klammer die sich um all diese Faschismusvarianten schließt ist aber, neben den antiideologischen Gemeinsamkeiten, vor allem eines: Die Angst.

Wer eine ausreichende Portion Mut mit Lebensmüdigkeit in sich vereint und einen Faschisten frägt, ob er Angst habe, wird entweder ein verbales oder ein nonverbales "Nein" zur Antwort bekommen. Letzteres könnte durchaus schmerzhaft ausfallen. Faschisten fürchten nichts - außer Gott vielleicht und das trifft wie gesagt auch nicht auf alle zu. Sie sind auch meistens bereit dies eher schlagkräftig als schlagfertig unter Beweis zu stellen. Das Gefühl das diese Leute permanent, teils offen, teils versteckt, zum Ausdruck bringen ist Hass. Aber auch ohne hier zu sehr in star-wars-philosophische Überlegungen abgleiten zu wollen (Angst führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unermesslichem Leid! Die dunkle Seite lockt und verführt.), kann sich jeder vorstellen, dass Hass eine Abwehrreaktion gegen Angst ist, denn Faschisten haben sehr wohl Angst und zwar mächtig. In solchen Versammlungen wie jener in Madrid findet man Menschen verschiedener, meist aber unterer Schichten. Jene die sich an ihre Spitze heben sind praktisch immer ausgesprochene Riesenegos, noch größer als in der Politik ohnehin üblich. Was erwartet man sich auch von Menschen, die Verfechter des Führerprinzips und des Kampfes der Starken gegen die Schwachen sind? Oft atomisieren sich faschistische Splitterparteien daher bald nach ihrer Entstehung, weil solche Egos meist aufeinandertreffen wie Nuklearteilchen im CERN. Die Radikalität ihrer Mitglieder erweist sich daher häufig eher als Trennungs-, denn als Einigungsgrund. Da helfen auch die größten Ziele nichts: Was dermaßen gleich stark geladen ist, stößt sich meist ab. Was sie unter Umständen doch zusammenhält ist die genannte Angst, die sie sich persönlich nicht eingestehen, mit der sie aber nach außen hin spielen: Sein Traum, so ruft die Stimme eines Unsichtbaren per Mikrofon aus der Menge, sei ein Spanien für Alle (alle Spanier wohlgemerkt). Die sogenannten demokratischen Kräfte hätten Versagt, Spanien sehe sich ernsthaften Bedrohungen gegenüber... Angst. Angst vor Veränderung, vor Verlust, vor der Fremdartigkeit.
Das Weltbild des Faschismus ist ein konservatives. Er lebt vom Glauben an den Status Quo, der aber erst (wieder)hergestellt werden muss. Veränderung ist schlecht, wenn sie nicht auf die Herbeiführung des gewünschten "Gleichgewichtes" abzielt. Ein Europa der Völker wünschen sich die meisten, souveräne Nationalstaaten, Wohlstand für alle, aber jeder für sich. Ausländer weg mehr "eigene" Kinder her. In einer globalisierten Welt sind sie nicht angekommen und sie werden es auch nie. Geschichtliche Zusammenhänge orientieren sich bei Extremisten generell am Weltbild und nicht umgekehrt: Guernica war halb so schlimm, Auschwitz ein Ausrutscher, wenn überhaupt. Zuflucht sucht man in der Autorität, jener des Führers, des Königs oder abstrakter bei Gott und im Volk. Autorität vermittelt Sicherheit, Sicherheit ist das Gegenteil von Angst. Damit Autorität aber wirken kann muss sie allumfassend sein: Jeder muss sich ihr beugen. Autorität hat, wer stark ist. Wer Stark ist braucht sich nicht zu fürchten. Wer Angst hat ist schwach. Schwache stehen außerhalb, sind des Führers nicht würdig, Gottlose, die nicht zum Volk gehören. Die Schwachen an die sich der Faschismus richtet sind nicht schwach, denn sie sind ja viele und viele sind stark. Daraus leitet sich auch das Wort Faschismus ab, Fasces sind Rutenbündel. Jede einzelne Rute kann man brechen, alle gemeinsam nicht: Der Faschismus hat den Anspruch alle einzubeziehen an die er sich richtet. Wer nicht will, an den richtet er sich nicht mehr. Er wird ausgestoßen, hat sein Recht auf Schutz verwirkt, wird schwach gemacht, ausgemerzt, getötet. Die anderen werden uniformiert, in jederlei Hinsicht. Wer Uniform trägt hat Autorität, ist den anderen äußerlich gleich und doch einer Hierarchie unterworfen. Nach 1933 trug in Deutschland noch der letzte Zivilbeamte eine Uniform. Die Männer die auf der Plaza de Oriente vor dem Teatro real, hinter Tischen mit Nazi- und Falangedevotionalien Aufstellung genommen haben tragen grüne Hemden und rot-gelb-rote Armbinden.

Der Faschismus ist exklusiv und inklusiv zugleich. Menschen gegenüber kennt er nur zwei Standpunkte: Du schon. Du nicht. Wer ausgeschlossen ist oder sich selbst ausschließt wird zum Feindbild, zur Projektionsfläche der Angst: "Wir sind zwar stark, aber DIE wollen das nicht." Der Faschismus fürchtet sich de facto vor sich selbst, vor anderen die so sind wie er: Viele, stark, autoritär. Deshalb kennt er Mittel und Wege die Angst in Balance zu halten: Das Volk muss sich fürchten, aber gleichzeitig auch überlegen fühlen. Die anderen wollen zwar ihren Untergang, können ihn aber nicht herbeiführen, weil sie: Rassisch, religiös, moralisch minderwertig sind. Die Bedrohung wird aufrechterhalten und gleichzeitig relativiert. Wie paradox das sein kann zeigt sich am Beispiel Hitlers: In den letzten Kriegstagen vollzog sich bei ihm, so mehrere Beobachter, ein totaler Meinungs- und Stimmungsschwenk. Angesichts der unausweichlichen Niederlage fiel der relativierende Ansatz der faschistischen Angstpropaganda weg:
"Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das deutsche Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil, es ist besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das deutsche Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrig bleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen."

Der Faschist lässt sich nicht vom Gegenteil überzeugen, außer man beweist es ihm konkret durch (Beinahe)ausrottung seines Idols. Solange hält er sein Volk für das Beste und sich für einen Teil einer größeren Sache.

Die spanischen Faschisten folgen dem Ruf ihres Einpeitschers: "¡Arriba España! ¡Viva Cristo Rey!" Die rechten Hände fliegen ausgestreckt zum Himmel. Was man sich bei uns nicht träumen lassen würde ist in Spanien legal und wird deshalb auch gemacht. Man braucht sich ja nicht zu fürchten, zumindest auf dem Platz ist man in der Mehrheit und die Autorität. Nur vier madrilenische Stadtpolizisten verstecken sich hinter einer Hauswand.

Die faschistische Angst offenbart sich in vielen Gestalten:

Der Faschismus ist feige: Er windet sich vor dem Rechtsstaat wie ein Wurm, wenn ihm Strafe droht. Am Ende war immer alles nicht so gemeint, wurde falsch verstanden und aus dem Zusammenhang gerissen. Der Faschist ist nur stark durch seine eigene Autorität, trifft er auf eine übermächtig stärkere, wirft er sich auf den Rücken und winselt.

Der Faschismus lügt: Er sagt was er denkt nur wenn er nichts zu befürchten hat. Er schleicht sich durch juristische Schlupflöcher, sagt Dinge im Ausland, zieht sich ins Internet zurück. Werden sie öffentlich bekannt folgt die Relativierung: "Wir sind ja gar nicht so, man stellt uns nur so dar." Verbote will man nur aus Gründen der "Meinungsfreiheit" abschaffen. Ein Rechtsstaat brauche sich ja schließlich nicht vor der Wahrheit zu fürchten.

Der Faschismus hasst: Er ist brutal und rücksichtslos. Meist schlägt er im Verborgenen zu, verstohlen, feige. Für ihn ist das ehrenhaft. Er weiß das absolute Recht auf seiner Seite, warum sich an das positive halten? Der Faschist ist stark in der Gruppe, die Mehrheit gibt ihm im Abstrakten und in der Praxis Schutz. Gegner sind Todfeinde und vogelfrei. Erbarmen gibt es - wenn überhaupt - nur für die Angehörigen der eigene Gruppe.

Der Faschismus in überheblich: Er ist in keinster Weise selbstreflexiv und verbittet sich grundsätzlich Kritik, sei sie aus den eigenen Reihen oder von Außen. Kritik an anderen wird dagegen hämisch und untergriffig geführt. Der billige Lacher und der jolende Applaus sind Wegbegleiter des Faschismus. Sein Weltbild ist gefestigt und unantastbar. Daher wird auch die eigene Angst nicht thematisiert sondern tabuisiert.

Der Faschismus ist dumm: Er braucht einen Katalysator und gedeiht nicht auf jedem Untergrund. Angst wächst nur wo sie auf fruchtbaren Boden stößt, in Wirtschaftskrisen, Kriegen, Katastrophen. Während die Demokratie ein langsam gedeihendes Gewächs ist, schießt der Faschismus aus und wird zur Schlingpflanze, verdorrt aber umso schneller. Da es sich um eine Extremistische Ideologie handelt, zieht sie naturgemäß Extremisten an. Extreme Meinungen sind vereinfachte Weltbilder, wer sie pflegt schottet sich ab von der Wirklichkeit. Es sind die Weltbilder der simplen Zusammenhänge und Lösungen. Alles ergibt sich aus Kausalzusammenhängen, es gibt nur Schuld und Unschuld, keine Graustufen, keine fließenden Grenzen. Sie kennen nur Holzhammermethoden und Amputationen, langsam wirkende und komplizierte Medizin liegt ihnen nicht. Kleingeistige Weltbilder dienen kleinherzigen Menschen. Bildung schützt vor dem faschistischen Virus nicht, Bildungschauvinismus macht dafür geradezu anfällig. Wer dem Punkteprogramm auf der neuen Homepage der Burschenschaft Olympia folgt erkennt das.

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Antoine de Saint-Exupéry

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