Freitag, 9. April 2010

Es ist ein gutes Land... oder: Irrationalität aus Überzeugung.

Es gibt Tage, da zweifle ich an Österreich. Das sind dann meistens jene Tage, an denen ich einer der grausamen Wahrheiten, die dieses Land in sich birgt, nicht durch Verdrängung entkommen kann. Dann wenn Barbara Rosenkranz als Bundespräsidentschaftskandidatin aufgestellt wird, man die Mauern von Mauthausen mit Nazislogans besprayt, ein Länderspiel gegen die Färör ansteht oder ein peinlicher Möchtegernzwerglatinlover für uns beim Song Contest antritt. Dann fluche ich manchmal leise in mich hinein, über die stinkende Verkommenheit der Republik, oder bekomme vor guten Freunden kurze aber heftige Tobsuchtsanfälle, reiße mich wieder zusammen, schimpfe über Rosenkranz, Neonazis, die Nationalelf und Manuel Ortega aber schweige über das Land. Ja, ich bin still. Ich denke an Grillparzer und seinen in der Überschrift zitierten Satz aus „König Ottokars Glück und Ende“, belüge mich selber ein bisschen über dessen Wahrheitsgehalt und bin still, nur wegen Österreich, weil ich mich ihm gegenüber nicht zur selben zynischen Verachtung durchringen kann, die ich für sonst fast alles empfinde.

Der österreichische Patriotismus war für lange Zeit ein Elitenpatriotismus (Dass ich jetzt auf das Thema komme, beweist wohl, dass er es nicht mehr ist). Gepflegt in Kaminzimmern mit Lehnstuhl und Meerschaumpfeife bei einem Glas Port. Auf der Straße wurde er kleingeredet, lächerlich gemacht, verleugnet. Wäre Patriotismus ein Produkt, man hätte es lange nur im Meinl am Graben bekommen und heimlich nachhause getragen, in einem roten Papiersackerl mit politisch unkorrektem Logo. Heute bekäme man ihn beim Hofer ums Eck, billig nachgemacht und hergestellt in China.

An Österreich ist sogar der Patriotismus typisch österreichisch: zerrissen, abstrus, verleugnet, oft ein bisserl verlogen und ein dauerhaftes Provisorium. Erfunden haben ihn die Monarchisten für Gott, Kaiser und Vaterland. Die Kommunisten haben später die Nation dazu gebastelt, mit Unterstützung der Legitimisten. Sonst brauchte lange keiner Österreich, weil man ja deutsch genug sein wollte. Die Austrofaschisten haben den Österreichpatriotismus dann ideologisch ausgeplündert und mit der spinnerten Idee vom „besseren Deutschland“ verknüpft, aus Angst vor dem Anschluss. Verboten war er dann natürlich bei den Nazis, aber das Verbot hat ohnehin nicht viele gereizt. Neu inszeniert und definitiv entdeutscht haben ihn dann die ersten Regierungen nach 1945 - allen Parteien voran die ÖVP - auch passend zum Opfermythos. Dann wars eine Weile still um ihn, weil man auch die deutschnationalen „Ehemaligen“ als Wähler haben wollte. Für sich entdeckt haben ihn langsam aber auch die Roten. Bekämpft wurde er lange, und wird er zum Teil noch heute, von den Blauen und den Grünen. Durchwegs österreichische Allianzen der Widersprüchlichkeit.

Es gab eine Zeit, da war es unter Linken teilweise akzeptiert österreichischer Patriot zu sein, weil die Unis voller Deutschnationaler waren. Kommunenpatriotismus á la Austria quasi. Da die österreichische Nation an der Wurzel eine kommunistische Koproduktion war, konnte man sich damit eher anfreunden. Die Teutschen aus dem Dritten Lager verachteten diese Nation und ihre Patrioten zu tiefst. Der Historiker, Altnazi und gestandene Antisemit Taras Borodajkewycz nannte sie einen „blutleeren Literaturhomunkulus“ und ein „Gemisch von Anmaßung und Unkenntnis“. Ein geheimschwuler Kampftrinker mit Bleifuß bezeichnete sie dann als „ideologische Missgeburt“. Bis heute hat sich die FPÖ vom Deutschnationalismus nicht wirklich verabschiedet, aber sie hat sich etwas verbogen, dem Populismus zuliebe. Schließlich ist die eigenständige Nation heute von etwa 90% der Österreicher anerkannt. Auf die als Wähler kann man nur schwer verzichten. Auf den Plakaten der Blauen sieht man daher jetzt rot-weiß-rote Flaggen zuhauf und das Wort „Deutsch“ wird nur noch in Verbindung mit geforderten Sprachkenntnissen für Zuwanderer gebraucht. Ein stilisierter Bundesadler zeigt seinen ornithologisch nicht vorhandenen Daumen und das kollektivierende „wir“ der Wahlkampagnen gehört jetzt „den Österreichern“. Strache spricht sogar von der „österreichischen Staatsnation“, ein Begriff der Martin Graf wohl nicht von den Lippen tropfen dürfte, trotz der immer noch mitschwingenden Relativierung.

Der de facto Österreichnationalismus, den die FPÖ nun vordergründig betreibt, ruft natürlich auch die dauerunangepassten Sozialanthropologiestudenten und Theaterwissenschafter auf den Plan, die dann - wenn sie nicht gerade irgendwelche Klubs gründen, in denen Komposita mit „Volk-“ grundsätzlich nur mit „x“ geschrieben werden - Demos unter dem Titel „still not loving austria“ abhalten oder auf andere Weise die kollektive Staatsmoral untergraben. Diese historisch hochgebildeten und nur peripher überideologisierten Mensch_innen verbreiten dann ihre Sicht der Dinge natürlich auch über das Internet:

„Bezeichnend ist, dass der österreichische Staat ausgerechnet den 26. Oktober zum Anlass nimmt um seine Freiheit zu feiern. Nicht der 8. Mai, der Tag der Niederringung des Nationalsozialismus und damit das Ende der mordenden „Volksgemeinschaft“, sondern der Tag an dem der letzte alliierte Befreiungssoldat „österreichischen Boden“ verlassen hat, wird gefeiert.“ Still not loving Austria – Antinationalfeiertag

Zu blöd nur, dass am 26. Oktober 1955 das Neutralitätsgesetz verabschiedet wurde. Das mit dem letzten Soldaten (Warum eigentlich nicht Soldat_in? Zumindest bei den Russen gab's die auch.) war einen Tag vorher, was eigentlich auch nur ein Mythos ist, weil ein paar Briten in Kärnten verpennt haben. Aber gegen immerwährenden Frieden hätten sie sicher auch ein Argument gefunden…

Der gute Paul, den erst das schwarzbrotlose Spanien zum Österreicher gemacht hat, kann sich vielleicht noch an meine explosive Stimmungslage erinnern, als die Grüne Jugend die „Nimm ein Flaggerl für dein Gaggerl“-Aktion mit dem Untertitel „Wer Österreich liebt muss scheiße sein“ lancierte. Die Plakate hingen zumindest am Powi-Institut nicht lange...

Aber wer bezeichnet sich heute noch als Patrioten? Nur minderbezahnte langzeitarbeitslose Gewohnheitskleinkriminelle vielleicht, die Strache im Herz und Fäkalien im Hirn haben? Das Wort ist so furchtbar plakativ, historisch belastet und strahlt eine natürliche Arroganz aus, die einen eher abstößt. Trotzdem bin ich einer, der sich aufregt wenn jemand sagt, dass ihm Österreich am Arsch vorbeigeht oder der einen hochroten Kopf bekommt und die Fäuste ballt, wenn ein unbedarfter Numerus-clausus-Flüchtling seine Ansichten vom Deutschtum der Österreicher ausbreitet. Ich bin der, der alle drei Strophen der Bundeshymne kennt und am Nationalfeiertag die Rede des Bundespräsidenten im ORF anschaut. Wahrscheinlich kann man das Patriotismus nennen. Jedenfalls ist es in meinem Bekanntenkreis ein beliebtes Reizthema, um mich aufzuziehen. Der liebe Paul hat die Leugnung der österreichischen Nation nebst pangermanischer Phrasendrescherei und der Verherrlichung meiner rechtspolitische Hassfigur Carl Schmitt in piekfeinem Piefkenesisch mittlerweile schon so perfektioniert, dass ich manchmal doch noch meine selbstverordnete Contenance verliere.

Mein Freund Dave, ein ausgesprochener Linker, kennt mehrere Arten mit Menschen umzugehen, die - sagen wir es einmal vorsichtig - politisch anders orientiert sind. Da gibt es das Aufstehen und Kopfschütteln beim Weggehen für die, die er - immer zu Recht - für intellektuell nicht proportional genug ausgestattet hält, um eine Diskussion mit ihnen zu führen. Gleichzeitig hält er sich wohl für emotional nicht hinreichend ausbalanciert, um die verbale Politdiarrhö seines Gegenübers zu verkraften. Dann gibt es da den heftigen Widerspruch... oh wie ich ihn liebe... und für manche - oft meine - Aussagen das verstörte Husten mit unterdrücktem Lacher nebst schwingender Faschismuskeule.
Wenn wir aber über Österreich reden, hat er für mich noch eine ganz besondere Variante im Petto: Das offene Mitleid. Ja, meine Damen und Herren, es gibt noch einen zynischen, von der faschistoiden Alltagsgesellschaft verhärmten und vom Rechtsstaat enttäuschten linken Intellektuellen, der das Mitleid kennt. Ich hätte dem Absatz vorausschicken müssen, dass ich eigentlich jemand von der Sorte bin, dem der liebe Dave sonst den Schwarzen Block vor die Tür stellen würde. Aber aus einem unerfindlichen Grund genieße ich auch bei ihm ein Stückchen Narrenfreiheit und bin jemand den man noch bemitleiden kann und nicht einfach nur verachtet, wie gegelte Wirtschafts- und Sportstudenten. Dass ein halbwegs vernünftiger Mensch - ungerechtfertigte Lorbeeren an mich selbst -, so einem kollektiven Schwachsinn wie dem Patriotismus erliegen kann, ist ihm jedenfalls schleierhaft. Was - so hat er mich einmal im empathischsten Ton gefragt, den er aufbringen konnte - was zu Hölle will man da schon lieben an diesem Land? Vielleicht HC-Strache, oder - etwas anspruchsvoller - einen Stein am Wegrand? Patriotismus, so nicht nur Daves Fazit, ist irrational.

Ja, das ist er, durch und durch irrational. Ich würde mich selbst zum Affen machen, wenn ich es leugnen würde.
Aber Emotionen sind immer irrational. Der Mensch an sich ist irrational, weil vielmehr gefühls- als vernunftbegabtes Wesen. Dass mir jene, die auf facebook und StudiVZ massenhaft Bilder von sich in rot-weiß-roter Ganzkörperkostümierung aus EM-Zeiten hochgeladen haben, Irrationalität vorwerfen, juckt mich eigentlich nicht. Wenn Sie meine Blogs gelesen haben, wissen Sie wie irrational ich bin, nämlich völlig. Was mich - hoffentlich - von den beflissenen FPÖ-Wählern - die wohl in der Masse eher in das Schema Nationalist passen würden - unterscheidet, ist, dass ich weiß wo ich den Patriotismus einordnen muss. Die österreichische Nation und das österreichische Volk sind ideologische Erfindungen, wie jede andere Nation, jedes andere Volk, wie Weihnachtsfriede, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Moral, Demokratie, die Intelligenz von Nadja Abd el Farrag und die ökologische Steuerreform von Josef Pröll. Jeder hat eine Meinung dazu, aber niemand kennt den wirklichen Gehalt der Sache, weil er eben höchstens definierbar (z.B.: ökologisch), aber nicht wirklich fassbar (z.B.: Josef Pröll) ist. Man nennt das glaube ich eine Konstruktion und ich muss sagen ich mag Konstruktionen. Vielleicht nicht gerade die mit Rassenhass, Völkermord und Gendergerechtigkeit (der war für dich Eli), aber die wo man was zum sich aufregen hat, ohne sie für völlig abartig halten zu müssen, wie im Übrigen auch den Nationalismus.

Aber Österreich und ich? Eine 83.871 KM² große Spielwiese für Zyniker, einfach so brach liegen lassen? Mitnichten. Wenn es einen Herrgott gibt, hat er mich in den richtigen Sandkasten gesetzt: grassierender Alkoholismus, chronischer Nepotismus, korrupte Politiker, ungesühnte Polizeibrutalität, parteiische Beamte, weltfremde Linke, menschenverachtende Rechte, die Kronenzeitung und Kärnten. Einfach herrlich! Schon der ausgewachsene Berufsanus Thomas Bernhard war über sein Österreichertum so erfreut, dass er wohl zuhause heimlich geweint hat vor Glück. Elfriede Jelinek haben ihre Österreichpsychosen - gepaart mit einem gewissen ödipalen Mutterhass - sogar den Literaturnobelpreis eingebracht. Dieses Land ist ein Fluch für Menschen, die noch bei Verstand sind und ein Segen für Leute wie mich. Es bietet so viele Herrlichkeiten wie die weltweit einzige für die Ohren erträgliche Variante der deutschen Sprache, arrogante pelztragende alte Schachteln in der Wiener Innerenstadt, Nachrichtenmoderatoren die "Jänner" und "das Monat" sagen, Kommerzial-, Regierungs-, Amts-, Ökonomie-, Studien-, Oberstudien- und Hofräte, zwiebelige Bosna und sauren Schilcher. Es ist ein herrliches Soziotop und deshalb bin ich auch gern bereit die weniger aufregenden Dinge zu verteidigen, wie den Sieg von Aspern, Cordoba, alle 12 Isonzoschlachten, den österreichischen Skisport, Hans Moser, den Opfermythos, die Sachertorte, das schrottreife Bundesheer, den Staatsvertrag, den Donauwalzer und Dancing Stars. Patrotismus ist trotzdem keine Kritiklosigkeit. Man differenziert nur zwischen Umständen und Ideal. Karl Kraus hat das ein bisschen radikal ausgedrückt:

„Ich habe mich mein Lebtag geschämt, ein Österreicher zu sein, und nie mich dieser Scham geschämt, wissend, daß sie der bessere Patriotismus sei.“

Nein, ich schäme mich nicht Österreicher zu sein, weil ich ein schamloser Mensch bin. Patriotismus ist der verpönte Glaube an das nebulöse Ideal des Vaterlandes unter Missachtung der bitteren Realität. Wie geschaffen für mich. Nur ist der Patriotismus generell nicht mehr so en vogue. Man glaubt besser an irgendeine Form des realen Sozialismus, die Anarchie, die ehrlichkeit von Bankmanagern, die Zukunftsfähigkeit des Bologna-Systems oder den guten Leumund der Scheuchs, an sein Land lieber nicht. Vielleicht auch deshalb, weil Patriotismus zum Proletensport geworden ist, für Leute die bei diversen Sportereignissen gerne im Vollsuff „Immer wieder Österreich!“ schreien. Deshalb wird man gleich zum Nazi, Chauvinisten und Fremdenhasser erklärt, wenn man im Stadion die Hymne singt. Alles wegen ein bisschen Sympathie für eine Konstruktion, die keinem weh tun soll. Ich mag diese Konstruktion und weil der Mensch viel lieber das verteidigt was er mag, als das was er weiß, bin ich wohl ein patriotischer Überzeugungstäter, der manche zum Aufstehen, Weggehen und Kopfschüttel, manche zum Widerspruch und den armen Dave zum Mitleid reizt.

„Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“Johannes Rau

Welch Ironie, dass ich zum Schluss ausgerechnet einen Deutschen zitieren muss...

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