Dienstag, 27. April 2010

Heinz dir im Siegerkranz... oder: Der Wahlsonntag der Fleißigen.

Was macht man an einem Sonntag wie dem letzten? Die Hälfte der Österreicher lässt sich am Gänsehäufel zum ersten Mal im Jahr die Sonne auf den blanken Arsch scheinen oder verbringt die Freizeit sonst irgendwie unproduktiv. Die Braven gehen Wählen und die ganz Braven sind Wahlbeisitzer. Diesen Sonntag durfte ich für die 766 Wiener, die im Wahlsprengel 16. im 8. Gemeindebezirk gemeldet waren, im Dienste der linken Reichshälfte dieser Republik gemeinsam mit Raul Piener - an dieser Stelle die Empfehlung für seinen Wahlblog - und der besten von allen seinen Ehefrauen Kathi, den korrekten Ablauf der Wahl überwachen, wohlgemerkt als - worauf mich der Herr Piener oft genug mit der Arroganz eines Neowieners hingewiesen hat - Ersatzwahlbeisitzer. Für mich war's das erste Mal, dass ich im Dienste von Recht und Staat, den Leuten erklären durfte, dass sie nur den zahlreichen Pfeilen folgen müssen, um den richtigen Eingang in die Wahlzelle zu finden. Gefühlte 50% der Kundschaft war dazu nicht fähig und das in einem Bezirk mit wohl mehr als 1/3-Akademikeranteil unter den Wählern.


Gleich zu Beginn herrscht mich eine sichtlich genervte Ordnerin an, nachdem ich versucht habe die Werbebroschüre einer Partei zu entsorgen. Sie habe strikte Anweisungen, man dürfe im Lokal - in diesem Fall ein Seniorentreff - nichts verändern. Ich will ihr das Heftchen, von dem ein Parteilogo und ein Minister lächeln, in die Hand drücken. Sie meint, sie sei dafür nicht zuständig. Meinem Hinweis auf die Bestimmungen des Wahlgesetzes und die sogenannten Bannmeilen für politische Werbung in und rund um Wahllokale, begegnet sie mit der Wiederholung ihrer ersten Aussage. Ich unterdrücke die Frage ob der Bundesgesetzgeber nun neuerdings weniger zu sagen habe, als ein Seniorenclub und stecke die Broschüren unter einen Stapel unverfängliche Folder. Schließlich stellt sich heraus, die genervte Ordnerin ist eine übernächtigte Krankenschwester, die für eine Kollegin einspringen musste. Grant und Unkenntnis des Bundesgesetzblattes seien ihr großzügig verziehen.


Österreich ist ein schönes Land, hier ist man als Bürger nicht nur eine Nummer, nein man bekommt zwei Nummern und manchmal einen Titel dazu. Eine wunderbare fortlaufende Registrierungsnummer und eine Wählernummer werden nach jeder Wahl mit Ihnen in Verbindung gebracht. Das Wählerevidenzverzeichnis hat sogar ein Zusatzblatt für Menschen die zum Beispiel einen Magister, zwei Bachelors und einen überlangen Nachnamen haben.


Um Sie von der Sinnhaftigkeit des Wählens zu überzeugen führe ich Sie noch einmal zurück zum vergangenen Wahlsonntag. Stellen Sie sich einmal vor, Sie betreten „meinen“ Sprengel: Sie gehen als erstes schnurstracks am zweiten Ordner, der ihnen die Lage erklären könnte, vorbei zu den armen Leuten vom Sprengel 17, die näher an der Türe postiert sind und deshalb nicht nur die Bürokratieaufwändigen Wahlkartenwähler fast zur Gänze abbekommen, sondern auch alle Leute, die nicht lesen wollen oder können und dem Wahlsprengel 16 zugeteilt sind, an uns verweisen. Man schickt Sie also zwei Stufen hoch zu uns. Wenn Sie gehschwach sind und die Rampe rechts entdecken, können Sie auch die verwenden. Sie können aber auch weit jenseits der 70 sein, die Stufen abseits des Geländers erklimmen wollen und - nachdem Sie beinahe zu Boden gegangen sind - meine Hilfe nur wiederwillig und mit dem Kommentar annehmen, sie versuchten so gut wie möglich unabhängig zu bleiben. Das sagt Heinz Fischer auch, aber Oberschenkelhalsbrüche schaden der Gesellschaft mehr als rote Bundespräsidenten.

Sie kommen schließlich zu mir, halten Ihren Pass her und sehen mich erwartungsvoll an. Vielleicht sind sie weit über 80, aber immer noch Inhaber eines niegelnagelneuen blauen Diplomatenpasses mit biometrischem Daten-Chip, weil sie in grauer Vorzeit einmal Sektionschef oder Abteilungsleiter im Außenministerium waren. Wahrscheinlich ist ihr Pass aber grün und seit hundert Jahren abgelaufen. Überhaupt hat man es als Wahlbeisitzer scheinbar mit mehr abgelaufenen als mit gültigen Pässen zu tun. Wenn Sie also vor mir stehen und den Zettel, auf den ich freundlich "Zum nächsten Schalter bitte" geschrieben habe, nicht sehen, verweise ich mit einer Handbewegung auf die Vorsitzende und sage „Zur Dame bitte“ oder zur Abwechslung „Bitte zur gnädigen Frau“. Wenn Sie ein renitent wirkender Rechtsanwalt sind, setzen Sie bei ihr die Zulässigkeit Ihres Anwaltsausweise als amtlichen Lichtbildausweis durch. Diese kontrolliert dann Ihre Identität und die Wahlverständigung, die Sie natürlich vergessen haben, weshalb wir Sie anhand der Wohnadresse aus dem Wählerverzeichnis filtern müssen und Ihnen dabei Straße, Hausnummer, Stiege und Türe einzeln aus der Nase ziehen dürfen. Man liest ihren Namen vor und sie beschweren sich über die Betonung... „Cádice, nicht Cadíce“. Man reicht ihnen Stimmzettel und Kuvert, Sie finden aber trotz der Pfeile nicht in die Wahlzelle, woraufhin Ihnen der hatscherte Wahlbeobachter der ÖVP - der Arme leidet unter einer Achillessehnenentzündung - den Weg zeigt. Sie verbleiben kurz in der Zelle, vielleicht malen Sie aus Spaß ein Hakenkreuz auf den Aushang oder die Wahlschablone, damit die Beisitzer auch was zu tun haben, wenn sie ab und an die Zelle kontrollieren. Möglicherweise sind Sie auch einer von den mitdenkenden Zeitgenossen, die uns den Kugelschreiber aus der Wahlzelle heraustragen und in die Hand drücken, damit wir ihn wieder zurückbringen dürfen. Dann werfen Sie das Kuvert in die Urne, natürlich haben Sie die Lasche nicht eingeklappt, weshalb man nachstopfen muss. Die Kommission wünscht einen schönen Sonntag und sagt „auf wiederschaun“.
Tatsächlich wieder sehen wir aber nur die kleine Simone, die am Vormittag mit Papa und am Nachmittag mit Mama wählen geht. Dabei hat sie nur beim ersten Besuch durch das Verschieben der Zellenwand beinahe die Schreibunterlage auf den Schädel gedonnert bekommen. Aber wer kann einem Kleinkind böse sein, das freundlich winkt und „baba“ sagt? - Außer ich natürlich.

Selbstverständlich gibt es nicht nur Standardwähler wie Sie einer sind. Da ist auch die resolute ältere Dame, die ihr Tascherl auf die Urne stellt, um ihren Ausweis zu verstauen und auf die Frage eines anderen Wählers, ob er die Tasche zur Seite stellen dürfe: „Kommt drauf an, was gwählt ham.“ antwortet. Oder die arme Frau die ihren Vornamen mit der altnordischen Todesgöttin Hel teilt und von mir - vermutlich ob der ähnlich klingenden griechischen Gottheit - prompt mit der Sonnengöttin verwechselt wird. Sie selbst ärgert sich, dass sie schon so oft ihren zweiten Vornamen zu Protokoll gegeben hat, den ersten findet sie - wer versteht es nicht - schrecklich. Meine kleine Aufheiterung, dass Hel immerhin etwas mit Ruhe zu tun habe, wenn es auch die letzte sei, nimmt sie halb dankbar entgegen. Etwas pikierter reagiert die Dame mit unaussprechlichem Doppelnachnamen, die ich frage, ob sie sich nicht etwas Leichteres hätte aussuchen können. Wenigstens hat die Schwangere Humor, zu der ich sage, man dürfe ja normalerweise nicht zu zweit in die Wahlzelle, wir machten aber eine Ausnahme für sie. An dieser Stelle möchte ich Raul Pieners Liste der außergewöhnlichen Wählernamen um den Vornamen Radium (Absolut kein Scherz!) ergänzen. Der Namensträger war offensichtlich osteuropäischer Herkunft und, soweit ich mich erinnere, Titelträger. Ob Marie und Pierre Curie seine Taufpaten waren, ist leider nicht überliefert.


Als Wahlhelfer weiß man nahezu alles über seine Klienten. Wo sie wohnen, wie alt sie sind, ob sie einen Titel haben und wer noch alles dieselbe Adresse hat. Auf diese Weise lässt sich das schwule Pärchen sehr leicht entlarven, ebenso wie die fünfköpfige Familie Küblböck, die über den Tag verstreut eintropft, gottseidank kein Daniel dabei. Wen Herr Adolf - Geburtsjahr 1954 - wählt, braucht man auch gar nicht erst zu raten. Aber alle werden höflich bedient, auch die Dame die sich beschwert, dass sie nun einem anderen Wahllokal zugeteilt sei und auf meine Antwort, dass dies auf die Bemühung, möglichst überall Barrierefreiheit zu gewährleisten zurückzuführen sei, mit einem otierten „Woher wissen SIE des?“ reagiert. Eine Kundin zeigt sich verdutzt, als der ÖVP Wahlzeuge sie fragt, ob sie reserviert habe und ich mich nach dem Verlassen der Wahlzelle erkundige: „Die Dame haben gewählt?“ Ein exdeutscher Neoösterreicher der uns mit dem Satz „Is das erste Mal, dass ich bei euch hier wähle.“ gegenübertritt, bekommt ein säuerliches Lächeln von mir und den Kommentar „Ja, wir wählen unsere Präsidenten hier selber.“ Aus dem „euch“ sollte er bei Gelegenheit außerdem ein „uns“ machen. Die Vorsitzende ist tolerant und lässt auch Aussagen wie „Wenn Sie nicht wählen kommen, füllen wir die Stimmzettel aus.“ durchgehen.


Für die Wahlbeisitzer gibt es zwei Posten, daher bemüht man sich um Beschäftigung, weil es unglaublich langweilig sein kann, über zehn Stunden auf das Eintreffen von 766 Wahlberechtigten (minus 16 Wahlkartenwähler des eigenen und plus fünf von anderen Sprengeln) zu warten. Entweder man sucht die Wähler aus der Evidenz - anhand der Nummer oder des Wohnortes - oder man trägt sie in eine zweite Liste ein und teilt ihnen eine fortlaufende Nummer zu. Für beide Jobs bin ich, um ehrlich zu sein, nicht gerade prädestiniert: Die zweite Aufgabe wird, vor allem aufgrund meiner Legasthenie, schwierig, wenn ich irgendeinen Buchstaben einfach auslasse oder bei der Evidenznummer Zahlen vertausche. Daher ist es auch besser mir solche Chiffren als eins-sieben-drei anzugeben und nicht als einhundertdreiundsiebzig. Problematisch ist es auch, wenn ich wegen meiner dezenten Schwerhörigkeit Namen nicht oder falsch verstehe. Bei der zweiten Aufgabe verlese ich mich dafür gerne. Ja, Wahlkommissionen sind mitunter geschützte Werkstätten. Umso mehr Spaß macht es mir aber mit der Förmlichkeit eines Beamten und voll Inbrunst den Namen des Wählers/ der Wählerin samt Titel laut vorzulesen: „Prohaska, Elisabeth Doktor Magistra.“


Wenn man nichts zu tun hat, vertreibt man sich die Zeit anderweitig. Man spricht leise - ja das kann ich auch oder versuche es zumindest- über Politik, bezeichnet etwa Robert Mugabe aufgrund seiner Barttracht und wenig korrekt als Schokohitler oder frägt die Vorsitzende ob Stimmen aus der Wahlkabine für Wähler mit besonderen Bedürfnissen auch nur Halberte sind. An dieser Stelle gebührt der stellvertretenden Vorsitzenden ein großes Lob, einer gelernten Sonderkindergärtnerin, die schon von Berufswegen political correctness atmet und nur einmal leise nachgefragt hat, ob man denn heute irgend eine Minderheit auslasse. Dafür erzählt sie uns die Geschichte einer Kollegin, die als Vorsitzende einen Haufen Fäkalien in der Wahlzelle vorfinden durfte. Der betreffende Wähler hatte diesen offensichtlich von zuhause mitgebracht.


Insgesamt gilt bei Wahlen in Wien scheinbar weniger das Korrektheits- sondern eher das „Wird-scho-passn“-Prinzip, nachdem das Gesetz nur so weit befolgt werden muss, als dies sinnvoll erscheint. Auf meine Frage nach einer allfälligen Angelobung erfolgt der Satz „Ihr seits hiermit angelobt“ nebst freundlicher Handbewegung. Die Stimmen für die Patin des österreichischen Neofaschismus werden ausschließlich von zwei roten Wahlbeisitzern ausgezählt, die es aber ehrlich meinen und den Wählerwillen korrekt wiedergeben: 25 Stimmen für die Hausfrau Barbara Rosenkranz. Eine mehr - und damit muss ich Raul Piener widersprechen - als die ungültigen Stimmen. Nicht gewählt haben 370 Stimmberechtigte, auf seine Exzellenz Bundespräsident Univ. Prov. Dr. Heinz Fischer entfallen 327 - 84,9% der abgegebenen und damit 90,5% der gültigen - Stimmen und Herr Gehring, der sich wohl zu sehr auf Gott verlassen hat, erhält ganze neun Kreuzchen. Die vierundzwanzig Weißwähler, nein Karlheinz Kopf war nicht in unserem Sprengel, haben entweder leere Zettel eingeworfen oder alle durchgestrichen. Ein Wähler gab zu Protokoll er nehme dem Amtsinhaber die Nichtanwesenheit bei Lech Kaczyńskis Beerdigung übel und legte ihm daher die Pensionierung nahe. Ein anderer kreuzte Rosenkranz an, meinte aber in eher gebrochenem Deutsch anmerken zu müssen, er halte das Amt an sich für verzichtbar. Sein Stimme wurde dennoch für Rosenkranz gezählt. Ordnung muss sein. Über einen Smiley im Kreis neben dem Namen Heinz Fischers entstand ein kurzer Disput. Der zuständige Ordner nahm eine Ungültigkeit an, wogegen die angehende Verfassungsrechtlerin und der Politikwissenschafter in spe Einspruch erhoben. Der Wählerwille war eindeutig dokumentiert, bei einem traurigen Gesicht wäre das anders gewesen. Nach Widerspruch des Ordners brachte ich kurz die Möglichkeit einer Abstimmung ins Spiel, bei der die beiden von der SPÖ nominierten Beisitzer ein wohl höchst ungewisses Urteil gefällt hätten. Auf diese Wurde aber schließlich verzichtet. Auch ein Smiley gilt als Stimme. Meine Befürchtung einer der Stimmzettel könnte, wie die Plakate und Schablonen in den Wahlzellen, mit Swastika im Kreis für eine bestimmte Kandidatin verziert sein, blieb gottseidank unerfüllt. Die Kontrollorin des Magistrats hatte die Gültigkeit einer solchen Stimme angemahnt. Daher eine kleine Bitte zum Schluss:


Für die Gfraster: Gehts gfälligst wöhn, es saufauln Negeranten es elendichen! I hock ma ned in Oasch o fia eich, damit's ned daherkummts!

Für die Braven: Wählen Sie bitte mit Kreuz, aber ohne Haken und bringes bei der nächsten Wahl den gschissenen Wählerinformatitonszettel mit, das erleichtert unsere Arbeit ungemein.

Besten Dank, ihr Wahlbeisitzer - stellvertretender Weise.

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