Freitag, 1. Juli 2011

Esoterik und Homöopathie, oder: rezeptfreier Schwachsinn

„Es gibt schon mehr zwischen Himmel und Erde, als wir mit wissenschaftlichen Mitteln erklären können.“ Solche Sätze, meist am späteren Abend und in fortgeschrittener Alkoholisierung geäußert, fallen in die Toleranzgrenze, die vernünftige Menschen haben sollten. Sie sind das Produkt eines Bedürfnisses nach mehr, nach dem Unerklärlichen, dem großen Plan, der Hoffnung. Irgendwie betäubt sich jeder damit, wenn er es nicht zufrieden ist, einer von knapp sieben Milliarden kognitiv beschränkten Individuen auf dem dritten inneren Planeten eines mittelkleinen Sternes am Rande einer von vielleicht etwa 170 Milliarden Galaxien zu sein.

Aber dann gibt es da noch die, die noch mehr wollen. Die, die an etwas glauben, das nicht in das allgemein anerkannte Schema passt. Da sind zum Beispiel die Anhänger des Engelswerkes, überzeugt davon, dass sie von unsichtbaren Wesen beschirmt werden oder die Ufologen, von denen die Angeseheneren versichern, schon mit einer venusischen Analsonde Intimkontakt gehabt zu haben. Von der Gralsforschung über das Pendeln, Wünschelrutengehen und Astrologie bis hin zum Kreationismus versuchen Hundertschaften von unter Realitätsphobie leidenden Spinnern die Welt von ihrer Wahrheit zu überzeugen. Einer Wahrheit, die sie nicht beweisen können, die sich wegen ihrer Transzendenz manchmal aber auch nicht widerlegen lässt. Aber wo sind die Grenzen zwischen einer Großmutter die jeden Sonntag in der Kirche eine Kerze für das Seelenheil ihrer Enkel anzündet und einem nackten Wahnsinnigen in Cowboystiefeln, der sich als Reinkarnation Jesu sieht? Sie sind fließend. Gefährlich werden solche psychischen Trostpflaster erst, wenn sie beginnen den Seinszusammenhang der wirklichen Welt zu negieren oder anzugreifen beziehungsweise, wenn sie mit ihrem nicht belegbaren Anspruch auf umfassende Richtigkeit den Menschen und der Gesellschaft Schaden zufügen. Ein Beispiel:

Die Überdosis eines Medikaments schadet. Das ist eine Binsenweisheit sondergleichen. Warum aber sollten sich dann mehrere Menschen an einem öffentlichen Ort einfinden, um gemeinsam eine Arznei in mehrfacher Potenz der empfohlenen Regeleinheit einzunehmen? Vielleicht sind es ja suizidale Sektenspinner? Nein, die Antwort ist einfacher: Das Medikament ist gar keines, wird aber als solches angepriesen.

Die Schluckspechte wiederum sind sogenannte Skeptiker, die der Welt den Schwachsinn der Homöopathie vorführen wollen. Globuli, Tropfen, Schüssler-Salze: das alles geht millionfach und zu horrenden Preisen über die Apothekentische Europas und der Welt. Manch ein Tinkturenpanscher hat sich gar auf den Verkauf alternativmedizinischer Produkte spezialisiert, von denen bisher kein einziges ein seriöses Arzneimittelzulassungsverfahren oder auch nur einen Wirksamkeitstest bestanden hat. Die Leute kaufen trotzdem und verabreichen den teuren Schmodder sich selbst und ihren fiebrigen Kindern. Zugegeben: Selten entsteht dabei ein gesundheitlicher Schaden für die Patienten. Die Mittelchen selbst bestehen ja nur aus Zucker und Alkohol. Probleme entstehen erst, wenn schwerwiegende Symptome einer schulmedizinischen Abklärung vorenthalten werden, weil man glaubt, man müsse nur seinen Mineralienhaushalt nach den Anleitungen von Dr. Schüssler ins Gleichgewicht bringen, um eine Lungenentzündung wegzusalzen. Manche Homöopathen schwören der Schulmedizin gleich ganz ab, andere geben sich konzilianter:
„Nur wenn ein Tumor größer ist als eine Faust und beginnt zu zerfallen, muss er operativ entfernt werden.“ 'Dr.' Alex im Spiegel
Wer erinnert sich da nicht an den dramatischen Fall der kleinen Olivia, deren geistig umnachtete Eltern 1995 der Meinung waren, ihr mehrere Kilo schweres Krebsgeschwür ließe sich durch Handauflegungen des Scharlatans Ryke Geerd Hamer heilen. Das Kind konnte erst durch den Entzug der Erziehungsberechtigung gerettet werden. Hamer, der sich als Gegner der „jüdischen sog. Schulmedizin“ (Deutsche Krebsgesellschaft) sieht, geriet danach wieder in die Schlagzeilen, als er einem an HIV leidenden Elternpaar einredete, die Krankheit existiere gar nicht, woraufhin die Mutter ihr Baby durch das Stillen mit dem Immunschwächevirus ansteckte. (Die Presse)

Natürlich ist nicht jede Mutter, die ihrem hustenden Kind Bachblüten-Tropfen gibt, deshalb gleich eine geistesgestörte Weltfremde, aber sie tut es sicher nicht ohne Hintergedanken. Die Anwendung alternativmedizinischer Methoden wird oft schon als valide Alternative zu und weniger belastend als ein Kinderaspirin angesehen. Dahinter steckt oft die tiefe Angst etwas falsch zu machen. Hand in Hand mit dem Homöopathiewahn geht deshalb etwa auch die Weigerung seine Kinder impfen zu lassen. Natürlich hat Schulmedizin Nebenwirkungen und kann in schwerwiegenden Fällen auch Schaden anrichten, aber die Alternativmedizin stellt schon allein deswegen keine wirkliche Alternative dar, weil sie eben keine Medizin ist. Bei Bachblüten-Tinkturen und Schüssler-Salzen fürchtet man sich deshalb vergeblich vor Nebenwirkungen, weil sie überhaupt nicht wirken. Aber natürlich geht jeder Husten irgendwann vorbei und der überzeugte Anwender wird das dem Placebo zuschreiben, das er zu diesem Zwecke fleißig eingenommen hat.

Mit der Leichtgläubigkeit, Unsicherheit und Unwissenheit der Menschen lässt sich bekanntlich das meiste Geld verdienen. Ob nun vor 500 Jahren die Päpste den Ablass verkauften oder heute ein Wunderjoghurt die Darmflora unterstützt, der Beschiss bleibt immer der gleiche. Auch hinter der Homöopathie steckt eine finanziell erfolgreiche Industrie, die ihre Einnahmequelle, die grassierende menschliche Dummheit, natürlich nicht verlieren möchte. Der weltweite Umsatz mit dem pseudomedizinischen Huschpfusch wird auf jährlich 2 Milliarden Euro geschätzt, weshalb besagte Industrie auch nicht müde wird zu beteuern, dass standardisierte Medikamententests ihre Produkte diskriminieren. Alternative Tests, die wissenschaftlichen Standards entsprechen und die Wirksamkeit der Kugerl, Pulverl und Tröpferl bestätigen könnten, wurden bislang aber auch nicht vorgelegt. Als Testimonials schickt man meistens ein paar Hausfrauen aus der oberen Mittelschicht vor, die darauf schwören, was auch immer diese Wissenschaft behaupte: ihnen habe die Homöopathie geholfen. Von fadenscheinigen Argumenten wie dem Placeboeffekt oder der an den Haaren herbeigezogenen Tatsache, dass der menschliche Körper Krankheiten auch durch Selbstheilung besiegen kann, lassen sie sich nicht überzeugen.

Die Wenigsten hinterfragen dabei den gedanklichen Hintergrund dieser mirakulösen Kurpfuscherei. Erfunden vom Deutschen Samuel Hahnemann, will die Homöopathie mittels hoch verdünnten Giften Krankheiten heilen, die dieselben Symptome hervorrufen wie die Vergiftung mit dem unverdünnten „Heilmittel“ bei Gesunden. Verursacht eine Krankheit also einen trockenen Mund, Augenschmerzen und Müdigkeit, wird sie am besten mit Tollkirschensaft behandelt, weil der dieselben Probleme macht. Im Prinzip geht es also darum, einem Ertrinkenden einen Kübel Wasser anzuschütten, damit er nicht ersäuft. Aber natürlich wäre die Homöopathie schon längst als der Schwachsinn entlarvt, der sie ist, wenn sie Leute einfach nur vergiften würde. Nein, so einfach ist die Sache dann doch wieder nicht. Denn die sogenannten Ursubstanzen (=Gifte) werden wie gesagt nur in hoher Potenz, also sehr stark verdünnt verabreicht. Je höher die Potenz, desto teurer wird das Mittel und desto weniger an Wirkstoff ist darin enthalten. Die Potenzhöhe lässt sich dabei an den auf den Präparaten angegebenen Ds ablesen: D 1 bedeutet ein Mischverhältnis zwischen Ursubstanz und Trägerflüssigkeit (in der Regel Alkohol) von 1:10, mit jedem D kommt eine Null dazu. Bei D 78 kommt statistisch gesehen dann schon nur noch ein Molekül des ursprünglichen Giftes auf alle Moleküle des Universums, die Ursubstanz ist also de facto nicht mehr vorhanden. Trotzdem gibt es, so Hahnemanns Theorie, seine Informationen - welche auch immer das sein mögen - an den Trägeralkohol weiter. Der Schmafu erinnert dezent an das sogenannte „Granderwasser“, das - in Metallstäbe gefüllt - seine unverfälschten Informationen an das umströmende Nass abgeben soll. Der „Erfinder“ Johann Grander wurde für diesen Humbug sogar mit dem österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet, wobei zu hoffen steht, dass er es eher für die Kunst, leichtgläubigen Esoterikaffinen das Geld aus der Tasche zu ziehen, denn für die Wissenschaft erhalten hat. Dass Wasser oder Alkohol gezielt Informationen speichern und weitergeben können, ist bis dato jedenfalls nicht erwiesen worden:
„[Die] Prinzipien der Homöopathie [sind] biologisch in höchstem Maße unplausibel. Wie ein Arzneimittel wirken soll, das so hoch verdünnt ist, dass meist kein einziges Wirkstoffmolekül mehr darin enthalten ist, lässt sich mit den fundamentalen Erkenntnissen der Wissenschaft und den Naturgesetzen nicht in Einklang bringen. Wenn Wasser, wie die Homöopathen behaupten, wirklich eine Art Gedächtnis hat, dann müssten die Lehrbücher der Physik neu geschrieben werden - und das ist im allerhöchsten Maße unwahrscheinlich. Wenn jemand wirklich zeigt, wie die Homöopathie wirkt - dann hat er nicht einen Nobelpreis in der Tasche, sondern mehrere.“ Prof. Edzard Ernst im Spiegel
In Österreich ist Homöopathie, Schande über uns, doch tatsächlich als Teil der Medizin anerkannt. Die alternativmedizinischem Mittel werden sogar im Arzneimittelgesetz aufgeführt, dessen § 1 Abs. 10 auch nicht recht weiß, wie er den Schmus umschreiben soll:
„,Homöopathische Arzneimittelʻ sind Arzneimittel, die [...] aus Substanzen hergestellt worden sind, die homöopathische Ursubstanzen genannt werden. Ein homöopathisches Arzneimittel kann auch mehrere Wirkstoffe enthalten.“
Die de facto einzigen Wirkstoffe bleiben dabei Alkohol (Tropfen) und Zucker (Globuli). Das macht es dem Arzneimittelgesetz auch einfach in § 11 die meisten Homöopathika von der Zulassung als Medikament auszuschließen: 
„Homöopathische Arzneispezialitäten unterliegen nicht der Zulassungspflicht [...], wenn sie [...] nur in Verdünnungen abgegeben werden, die die Unbedenklichkeit der Arzneispezialität garantieren.“
 Da das auf die überwältigende Mehrheit zutrifft, sind die Präparate weder Zulassungs-, noch Rezept-, aber meist Apothekenpflichtig. Das hat für die Apotheker natürlich vor allem einen finanziellen Vorteil. Kaum ein Pharmakologe verkauft die Placebos nicht.
Seriöse Mediziner warnen indes davor, Kindern regelmäßig homöopathische Tropfen zu verabreichen, da im frühkindlichen Stadium auch kleine Mengen Alkohol die Entwicklung des Nachwuchses gefährden können.

Selbst gut gemeinte und scheinbar harmlose Spinnereien können also negative Nebeneffekte haben. Solche Einwände beirren die Verfechter der Homöopathie aber natürlich nicht. Die Anhängerschaft von Wunderwuzzi Hahnemann ist dabei breit gefächert und geht von den Nazis, die mit der Homöopathie die „verjudete Schulmedizin“ überwinden wollten, bis hin zur katholischen Ärzteschaft. Die möchte Neuerdings Schwule mit Globuli heilen, was ja an und für sich sehr stimmig ist, weil eine Medizin, die keine ist, bei einer Krankheit, die keine ist, ganz sicher durchschlagende Erfolge verspricht.

Es ist überhaupt ein konstitutives Element aller ideologisch-extremistischen und esoterischen Strömungen, dass sie einander häufig bekriegen aber dennoch jede Versatzstücke der anderen in sich birgt. Himmler etwa erforschte die „germanische Magie“ und war felsenfest von der Reinkarnation überzeugt. Die immer gut geschminkte, aber mittlerweile krebskranke Sektenführerin Uriella lud Wasser in ihrer Badewanne mit kosmischer Energie auf, was dieses ungenießbar machte. Kurz: Wer an Engel, UFOs und Astralerscheinungen glaubt, trinkt mit erhöhter Wahrscheinlich auch Granderwasser, hat Räucherstäbchen zuhause und lebt vegan.
Eine weitere Grundeigenschaft solcher Weltanschauungen ist deren Hang zum Zirkelschluss und ihr Dogmatismus. Diskussionen mit Überzeugten sind in den Meisten Fällen sinnlos, weil man ein in sich stimmiges System von außen nur schwer aufbrechen kann. Gegen ein „mir hilft's aber“ und ein „ich glaub halt dran“, lässt sich ohnehin nichts sinnvolles einwenden. Es ist im Grunde wie in der Politik auch: Die, die sich als aufgeschlossen und progressiv präsentieren, sind oft die schlimmsten Dogmatiker und Reaktionäre:
„Von uns Wissenschaftlern behaupten Homöopathen ständig, dass wir militant seien. Dabei ist die Wissenschaft nicht dogmatisch und nicht militant. Wenn Sie sehen, was vor 30 Jahren die wissenschaftlich ausgerichtete Medizin wusste und was heute der Stand des Wissens ist - das ist vollkommen unterschiedlich, alles ist ständig im Fluss. Der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der 1951 gestorben ist, würde heute mit Sicherheit durch jede Chirurgieprüfung fallen. Der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, starb mehr als 100 Jahre vor Sauerbruch - und er könnte natürlich auch heute noch alle Homöopathieprüfungen absolvieren. Denn die Homöopathie hat sich nicht wesentlich weiterentwickelt. Sie darf es auch gar nicht, denn sie ist ein Dogma.“  Prof. Edzard Ernst im Spiegel

2 Kommentare:

  1. es tut mal richtig gut und ist erfrischend, einen derartigen Beitrag zu lesen. Manchmal fühlt man sich nämlich richtig einsam nur weil man naturwissenschaftlich orientiert ist und eben nichts von Esoterik, Homöopathie udgl. hält. Die Wissenschaftsfeindlichkeit ist zumindest empfunden wirklich in den letzten Dekaden größer geworden. Der Unsinn geht ja weiter, etwa bei der "schädlichen Handystrahlung". Mir soll mal jemand erklären was "schädlich" und was bitteschön eine "Handystrahlung" ist? Und da kann man noch so oft etwas vom elektromagnetischen Frequenzspektrum erzählen, davon dass ja die Sendeleistung meist <1 Watt ist, während zB eine Glühbirne auf einer wesentlich höheren Frequenz (Infrarotwärme und sichtbares Licht) 60W abstrahlt und wir das angenehm empfinden. Nix, Punkt, es wird so getan als seien Funkgeräte auf einmal radioaktiv. Und wenn mal über Homöopathie diskutiert wird, da kann man noch so oft erwähnen dass kein einziges Präparat dieser Art auch nur einmal einer Doppelblindstudie standhalten würde, man wird aus dem Heurigen gebuht... Es zermürbt und ich höre allmählich auf zu diskutieren, aber das ist auch nicht der richtige Weg. Es ärgert einfach.

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  2. Ein toller Bericht. :D
    Interessant und sehr unterhaltsam. Aufgrund von einer Hausarbeit die ich zu schreiben habe, muss ich mich mit genau diesem Thema auseinander setzen. Toll gleich mal auf einen Artikel zu stoßen der einen kritisch und humoristisch in das Thema einführt.
    Lange Rede, kurzer Sinn: War ein Vergnügen das zu lesen. ;)

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